Athanasius und die Kieferninsel

Ich wollte ja eigentlich was ganz anderes schreiben –  vielleicht etwas mehr in die Richtung Erotik. Aber das hier war plötzlich da, und mußte einfach raus. Es hat nur gaaaanz entfernt etwas mit Erotik zu tun, und ist vielleicht der Auftakt zu einem Reigen von Kurzgeschichten, die zusammen ein großes ganzes ergeben.

Neulich auf twitter: Eine Frau postet ein Badewannen-Entspannungsbild. „Nacktes Bein im Schaumbett. Nackter Fuß mit Kettchen drum und lackierte Nägel“. Der user @ChefleGrand setzt ein „rrr“ darunter, die Frau antwortet mit einem Kuß&Zwinkersmilie zurück.
Soweit die Vorgeschichte.

Es soll ja Menschen mit Fußfetisch geben. Meistens Männer. Und es soll ja auch Frauen geben, die ihre Füße, so sie diese denn selbst gut leiden können, auch entsprechend pflegen. Nun ist die Geschichte der Fuß- und überhaupt Körperpflege so alt wie die Menschheit selbst. Und so unsexy und so sehr nach Altersheim es klingt: Die Latschenkiefer, respektive die aus ihr gewonnenen Öle haben sich in dieser Hinsicht als probates Mittel erwiesen. Weiterhin sind ja auch seit Jahrhunderten die Öle und Essenzen, die aus Zitrusfrüchten gewonnen werden ein nicht unerheblicher Bestandteil entsprechender Kosmetika. (frei nach dem Motto: „Orangen gegen Orangenhaut!“)
Man könnte also davon ausgehen, daß dort, wo Männer mit Fußfetischen und Frauen mit gepflegten Füßen vermehrt auftreten, der Bedarf nach (Fuß-)Kosmetika gegeben ist.
Nun gut.
Weiterhin gereichen diese aus Latschenkiefer und Zitrusfrüchten gewonnenen Öle auch zur glänzenden Fellpflege bei Tieren, Haustieren um genauer zu sein. Und einjeder, der eine Nase hat, wird auch wohl den harmonischen Düften dieser Öle und Essenzen zugetan sein.

Nun gibt es irgendwo im Mittelmeer eine kleine, runde Insel. Sie besteht im Prinzip aus einem erloschenen Vulkankegel, der sich aus den Fluten erhebt.
Diese kleine Insel ist sehr merkwürdig: Das sich an den Flanken des Vulkankegels Orangen- und Zitronenhaine aneinander reihen, ist nicht weiter verwunderlich. Aber die Spitze des erloschenen Vulkans reicht so hoch hinauf, das dort, trotz des mediterranen Klimas (allerdings ein sehr kleiner) Latschenkieferbestand gedeiht. Unter günstigen Voraussetzungen bleiben hier sogar hin und wieder Schneeflocken liegen, und kleine Schneematten überleben am Nordhang den Sommer über. Zugegeben, sehr kleine Schneematten.
Auch die Bewohner der Insel sind sehr merkwürdig: Die Insel liegt sooo weit „ab vom Schuß“, das sie schon selbst nicht mehr wissen, ob sie nun Italiener oder Griechen oder ganz etwas anderes sind. Es wohnen auch nur alte und mittelalte Leute auf dieser Insel – die jungen sind fort in die großen Städte aufs Festland gezogen.
Es gibt auch nur ein kleines Fischerdorf auf dieser Insel – kleine bunte mediterrane Fischerboote dümpeln an der Mole, oder liegen umgedreht auf dem kleinen Kiesstrand.
Ein paar Häuser und eine kleine Kirche erheben sich überhalb des Dorfes in den Orangenhainen – und die zahnlosen, fröhlichen alten Menschen leben friedlich von Fischfang und ihren kleinen, niedlichen Gemüsegärten.
Touristen kommen so gut wie nie auf diese Insel: sie ist einfach zu klein, und zu weit weg. Dabei duftet diese Insel unten am Strand und im Dorf nach Meer und Frutti di Mare, oberhalb des Dorfes nach Orangen, Zitronen, Pomeranzen und Bergamotten, und ganz oben, rund um den kleinen Vulkankrater nach schneegekühlter Latschenkiefer.

Im Zweiten Weltkrieg waren einmal Fremde hier: unten im Hafen bewachten drei gelangweilte englische Soldaten ein Funkgerät, und ernährten sich von ihren Corned-Beef Konserven. Man hatte sie in London offenbar eine Zeit lang vergessen, denn sie wurden erst 1947 wieder von einem Schiff der Royal Navy abgeholt.
Und oben, am Rand des Vulkankraters, langweilten sich in einer kleinen Hütte drei deutsche Fallschirmjäger, die ihrerseits ein Funkgerät bewachten, und sich von ihren Reichs-Fischkonserven ernährten. Da sowohl die Engländer als auch die Deutschen ihren Dienst als äußerst langweilig empfanden, und nie Erkundungsgänge unternahmen, sind sie sich nie begegnet – es kam zu keinerlei Kampfhandlungen. 1944 sind die Deutschen dann auch spurlos verschwunden, niemand weiß, was aus ihnen geworden ist.
Und so liegt nun diese kleine Insel, eingelullt von ihrer eigenen Beschaulichkeit, irgendwo im Mittelmeer.
Der sanfte Wind streicht lieblich warum um die Bäume und Häser, die Grillen zirpen, die Bewohner grillen Fisch und machen Tomatensalat, die Wellen plätschern lahm rauschend an den vulkanischen Kiesstrand.

Wäre da nicht die Rauchwolke, die am Horizont über den Weiten des Meeres läge. Und käme diese Rauchwolke nicht langsam näher.
Die Bewohner der Insel werden der Wolke nicht gewahr, niemand rechnet mit einem Schiff. Schon gar nicht mit einem solchen.
Es ist seltsames Schiff, das sich dieser Insel nähert. Anstatt einer Schraube am Heck hat es an den Seiten große Schaufelräder. Diese werden von einer einfachen Dampfmaschine angetrieben, die in langsamen Takt die Zylinder auf und nieder treibt, und stetig mit Steinkohle gefüttert werden will. Der Rumpf des Schiffes ist rot und gelb gestrichen, oberhalb der Wasserlinie gelb, unterhalb derselben rot.
Auf dem Deck stehen drei Masten, ein Fockmast vorne, ein Großmast in der Mitte und ein Besanmast am Heck – Segel sind keine gesetzt. In der Mitte des Schiffes steht ein Ruderhaus, dahinter ein schwarzer Schornstein, mit gelbem Zierring, dem der schwarze Rauch der Dampfmaschine entsteigt. Weiterhin stehen sowohl auf dem Vorder als auch dem Achterdeck jeweils eine große Kanone, die um 360 Grad gedreht werden könnten, wenn man denn wollte. Sonst ist auf dem Deck des Schiffes nichts weiter besonderes, nur zwei Ladeluken und zwei Beiboote. Ein merkwürdiges Schiff.
Beiderseits des Bugs und am Heck steht der Name geschrieben: Das Schiff heißt „Senkholzschraube“.

Und was nun folgt, ist eine Annexion. Als Putin die Krim geklaut hat, dann war das ja an und für sich schon eine völkerrechtswidrige Tat, aber irgendwie…hm… ein „Klau unter Brüdern“. Ein Versehen, sozusagen.
Aber hier wird die friedliche Mittelmeerwelt mit einem einzelnen Kanonenschuß aus ihrem Schlaf gerissen. Das hier, das ist einfach eine Okkupation.

Ohne Not, einfach so, feuert das Schiff einen Kanonenschuß ab. Und kurz darauf spritzt eine Wasserfontäne im Hafenbecken des kleinen Fischerdorfes der kleinen Insel empor.
An Deck der „Senkholzschraube“ blickt ein ansonsten deprimiertes Kaninchen in grauem Talar befriedigt auf seine silberne Taschenuhr. „Punkt 12.00Uhr!“ – und zu dem großen Berner Sennenhund mit barockem Mittelscheitel zu seiner rechten gewandt: „Damit hätten wir uns offiziell angekündigt! Mümpf!“
Der angesprochene, Aljoscha von Wiezethal, seines Zeichens großer Berner Sennenhund, guckt in Richtung der Insel, dann zu Athanasius Weitwinkel, dann wieder zur Insel hinüber.
„Wuff!“ weiß dieser im ersten Moment nur zu erwiedern.
„Sehen Sie, mein lieber Herr von Wiezethal, schon bald gehört diese Insel uns! …Nämlich!“
„Solange ich meine Leberwurstpasteten zu essen bekomme, und mich nicht von Apfelsinen ernähren muß, soll es mir recht sein, mein lieber Athanasius Weitwinkel!“
„Keine Sorge, mein lieber Herr von Wiezethal, Sie werden gut versorgt sein! Schließlich sollen Sie ja der neue Gouverneur dieser Insel werden!“
„Wuff! Es ist mir eine Ehre! Aber eine Bitte hätte ich da noch…“
Herr von Wiezethal legte den Kopf etwas in die Schräge: „Bitte keine Kanonenschüsse mehr, ich mag keine lauten Geräusche!“
„Selbstverständlich, mein lieber Herr von Wiezethal, selbstverständlich. Es war nur dieses eine Mal, um uns anzukündigen!“
„Wuff! Was genau soll meine Aufgabe dort sein?“
„Nun…wissen Sie…unser Staat braucht Geld. Daher müssen wir etwas herstellen, was wir anschließend verkaufen können. Und da ich als Reichskassenwart und Hüter des Portemonnaies unseres Chefs lange schon mit Zitronen gehandelt habe, gedenke ich mit der Einnahme dieser Insel meine Zitrusfruchtplantagen zu erweitern.“
„So wollen Sie etwa Zitronen und Apfelsinen verkaufen, um an Geld zu kommen?“
„Nicht nur das, lieber Herr von Wiezethal, auf dieser Insel wachsen auch Pomeranzen und Bergamotten. Und sehen Sie“, Weitwinkel deutete auf den Gipfel des erloschenen Vulkans, „dort oben gedeihen sogar Latschenkiefern. Wir werden auf der Insel eine kleine Distillerie errichten, um aus den Pflanzen wohlriechende Öle und Essenzen zu gewinnen. Zu diesem Zweck habe ich extra eine eigene Gesellschaft gegründet, die „Lazitröl AG“, die die Öle und Essenzen vermarkten soll. Wir können dort biologischen Anbau ohne Chemie verwirklichen. Denken Sie nur, die ganzen Wohlgerüche und pflegenden Essenzen!“
Weitwinkel geriet merklich ins schwärmen.

„Wußten Sie, daß Latschienkiefernöl besonders gut für zarte Haut und ein zartes Fell ist?“
„Nein, das wußte ich nicht. Wuff!“
„Sehen Sie. Und die Menschen erst…die haben zwar kein Fell, aber sie wissen die Wohlgerüche ebenso zu schätzen. Ich habe gehört, wie unser Chef etwas diesbezügliches mal in einem Halbsatz hat fallen lassen. Er sprach etwas von gepflegten Füßen…ich habe zwar nicht ganz mitbekommen, um was es ging, aber ich denke, mit der Lazitröl AG können wir vielleicht etwas Geld machen.
Jedes Wochenende wird ein Schiff kommen, daß die Wochenproduktion abholt. Und Ihre Aufgabe wird es sein, die Hege und Pflege der Pflanzen, die Ernte und die Produktion zu überwachen. Und als Gouverneur werden Sie nicht nur unsere Truppe kommandieren, sondern auch in meiner Vertretung, dh. letzendlich auch in der Vertretung unseres Chefs über die Inselbewohner zu Gericht sitzen, Recht sprechen und Steuern erheben!“
„Wuff!…Soll ich etwa mit arbeiten, wenn die wohlriechenden Öle hergestellt werden?“
„Aber nein, mein lieber Herr von Wiezethal. Wir als adelige Tiere müssen ja die Stellung unseres Standes wahren! Wenn unsere Leute bei der Produktion nicht ausreichen sollten, so verpflichten sie einfach ein paar Eingeborene. Ich lasse Ihnen da völlig freie Pfote!“

„Wuff! Ich werde versuchen, mein Amt nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen! Nur… das warme Klima hier macht mir etwas Sorgen…“
„Auch seien Sie hier ganz unbesorgt – es gibt dort oben am Gipfel in den Latschenkiefern eine kleine Hütte von deutschen Soldaten aus dem letzten Weltkrieg, die werden wir als aller allererstes wieder herrichten, als ihren Goveneurspalast!“
„Eine ganze Hütte, für mich allein? Wuff!“
„So ist es. Von dort oben können Sie fast die ganze Insel überblicken, und sie haben es wegen der Höhe schön angenehm kühl.“

Unterdessen hatte die „Senkholzschraube“, der ganze Stolz der snöffischen Marine, die Hafeneinfahrt passiert, und die Fahrt verlangsamt. An der Mole war schon etwas Volk zusammengelaufen, daß nun neugierig das folgende Spektakel beobachtete: Die „Senkholzschraube“ kam langsam längsseits zur Hafenmole, von Deck wurden dicke Taue an Land geworfen. Herbeigelaufene Inselbewohner überwanden ihre Scheu, und beeilten sich, die Taue an den Pollern festzumachen.
Sodann wurde eine Gangway von Bord des Schiffes auf die Hafenmole geschoben, über dann Athanasius Weitwinkel, das Kaninchen im grauen Talar, Reichskassenwart und Vorweiner des snöffischen House of Lords, würdevoll als erster an Land schritt. Ihm folgte Aljoscha von Wiezethal, der Berner Sennenhund und zukünftige Gouverneur der Insel.
Dann folgte die Landungstruppe: Vierzig Hasen/Kaninchen, Igel, Bärchen, Erdmännchen und Murmeltiere stapften einer nach dem anderen an Land. Einjeder von ihnen trug auf dem Rücken einen Tornister, und einen 98er Karabiner über der Schulter. Im Koppel hingen bei jedem eine Feldflasche mit Kakao, zwei Handgranaten, ein Klappspaten und ein Beutel mit Schokoladenkeksen.
Und auf dem Kopf trug jeder dieser Truppe eine blau-weiße Matrosenmütze (mit hinten den zwei flatternden Bändern), und auf dem Schirmfeld der Mütze stand in goldenen Buchstaben „SMS Senkholzschraube“.
Als die Truppe vollzählig auf der Hafenmole stand, trat eines der Murmeltiere einen Schritt nach vorne, salutierte vor Weitwinkel und von Wiezethal, und meldete: „Landungstruppe vollzählig angetreten, Euer Gnaden!“
Weitwinkel nickte kurz und huldvoll, und sprach zu von Wiezethal: „Es wird Zeit den Ort und die Insel in Besitz zu nehmen. Gehen wir!“ Die beiden wandten sich zum gehen. Hinter ihnen kommandierte das Murmeltier: „Aaaaabteilung – links um!“
Die Truppe von Hasen/Kaninchen, Igel, Bärchen, Erdmännchen und Murmeltieren machte eine 90-Grad-Wendung.
„Aaaaabteilung marsch! …Mümpf…mümpf…mümpf, zwo, drei, vier…Mümpf …mümpf…mümpf, zwo, drei, vier…!“

Diese abenteuerliche Prozession zog nun also im Gleichschritt in Richtung des Hauptplatzes des Ortes. Die Inselbewohner trauten ihren Augen nicht recht, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und lamentierten auf vielfältige Weise in ihrer mediterranen Sprache.
Es dauerte auch wirklich nur drei Minuten, bis der Zug auf dem kleinen Marktplatz des Dorfes angekommen war.
Da die Bewohner schon selbst nicht mehr wußten, welcher Nationalität sie eigentlich angehörten, war es auch nicht ersichtlich, welche Flagge an dem Mast vor dem Balkon des Rathauses geweht haben mochte. Da hingen nur noch die traurigen Fetzen einer EU-Fahne, die andere fehlte einfach. Das Rathaus war ein offensichtlich sehr altes Gebäude, denn über der Türe befand sich ein in Stein gemeißelter, schon stark verwitterter Venezianischer Flügel-Löwe. Demnach hatte die Insel also irgendwann einmal zur Dogenrepublik gehört – aber es war auch gut möglich, das den Venezianern irgendwann einst die Osmanen als Herren der Insel nachgefolgt waren – man weiß es eben nicht.
Das Rathaus selbst war in einem ungepflegten Zustand: die Fensterläden und die Tür, von denen die weiße Farbe abblätterte, waren geschlossen, und der Putz bröckelte von der Fassade.
Als nun Weitwinkel und von Wiezethal mit ihrer Truppe vor dem Rathaus angekommen waren, stürmten zwei Erdmännchen, auf einen Wink Weitwinkels hin, zum Rathaus, und schlugen mit ihren Gewehrkolben so lange auf die Türe ein, bis diese endlich mit einem lauten Krach nachgab. So dann verschwanden sie im Inneren des Gebäudes, um kurz danach die Balkontür aufzureißen, und auch die letzten Fetzen der EU-Fahne vom Mast zu nehmen. Statt dessen hißten sie eine orange-dunkelblau karierte Fahne, die snöffische Kriegsfahne.
Unterdessen waren nun alle Bewohner der Insel auf dem Marktplatz zusammen gekommen, und verfolgten stumm und mit großer Verwunderung, was dort vor sich ging.
Weitwinkel, das Kaninchen, stellte sich mit von Wiezethal, dem Berner Sennenhund, auf die Stufen der Rathaustreppe. Die Bewohner verstanden sicherlich kein deutsch, aber Weitwinkel sprach dennoch zu ihnen:
„Liebe Bewohner dieser Insel!
Euere Insel ist ab jetzt snöffische Kolonie und Protektorat. Dies hier, neben mir, ist der ehr- und flaschwürdige Aljoscha von Wiezethal, euer neuer Gouverneur und fortan euer Oberhaupt. Benehmt euch!“
Er deutete auf von Wiezethal, der mit einem „Wuff! Wuff!“ seine Ernennung zum Gouverneur annahm.
Weitwinkel fuhr fort: „Und damit, seid ihr, liebe Inselbewohner, von nun an auch Untertanen unseres Chef!“
Auf einen Wink von ihm entrollten die beiden Erdmännchen auf dem Balkon des Rathaus ein auf Stoff gemaltes Porträt von @ChefleGrand.
[Anmerkung der Redaktion: ICH.HAB.IHM.HUN-DERT-MAL. GE-SAGT: Ich will keinen Personenkult! Keine übergroßen Porträts! Und was macht der? Besetzt eine Insel und entrollt mein Bild -.- …tzäh! ]
Die Inselbewohner verstanden immer noch nicht so recht, was sie von dieser Zeremonie nun halten sollten. Zwei oder drei schwarzgekleidete zahnlose alte Mütterchen knieten sich sogar hin und bekreuzigten sich, wohl in der irrigen Annahme, es handele sich bei dem abgebildeten um einen Heiligen oder einen Monarchen.
„Und an seiner statt wird der von nun an der ehr- und flauschwürdige Herr von Wiezethal über euch regieren, zu Gericht sitzen und die Steuern erheben! Amen!“

Damit war die offizielle „Inbesitznahme“ der Insel abgeschlossen.

Die Inselbewohner standen erst noch etwas ratlos herum, und zerstreuten sich dann wieder in ihrem Dorf.
Aber auch die Landungstruppe zerstreute sich.

Wenn die Amerikaner irgendwo einmarschieren, was tun sie als erstes? Richtig – sie verteilen Süßigkeiten an die Kinder.
Wenn die Außerirdischen irgendwo landen, was tun sie als erstes? Richtig – sie versuchen mit ihrer Heimatwelt Kontakt aufzunehmen.
Und was tun Snöffländer als aller aller erstes, wenn sie irgendwo landen? Richtig:
Sie fangen an, eine Eisenbahn zu bauen.

Die Besatzung der „Senkholzschraube“ hievte mit den zu Kranauslegern umfunktionierten Rahen der Masten eine Menge Technik und Einzelteile aus den Ladeluken auf die Hafenmole. So auch vorgefertigte Schienenteile einer 750mm Schmalspurbahn, samt kleiner Dampflokomotive (wie man sie von historischen Fotos aus Bergwerken, Steinbrüchen o.ä. kennt) und Waggons.
An und für sich infrastrukturell fragwürdig, bei einer Insel, die gerademal anderthalb Kilometer lang wie breit ist. Aber Athanasius Weitwinkel hatte bei der Planung dieser Expedition eben nicht nur an den wirtschaftlichen Erfolg gedacht, sondern auch an eine gewisse „kulturpropagandistische“ Komponente.
Eine kleine Insel, die so klein, sanft, warm und wohlriechend ist, muß auch eine Eisenbahn haben. Punkt. Da war nicht dran zu rütteln.

Auf halben Wege zwischen Rathaus und der Kirche, die schon im Berghang stand, war eine kleine Brachfläche. Der Boden war irgendwie nicht geeignet zum Gemüseanbau, und außer ein paar Büschen und Sträuchern war auf den ersten Blick nichts besonderes an dieser Stelle.
Die Zikaden und Grillen machten ihre Geräusche, ein paar dürre Ziegen striffen umher.
Auf ihrem Weg, der eigentlich nur ein ausgetretener Maultierpfad war, und sie eigentlich zu der Hütte oben bei den Latschenkiefern führen sollte, blieben Weitwinkel und von Wiezethal stehen.
„Wuff!“ bemerkte Herr von Wiezethal, der zu müde war, um hinter den Ziegen her zu springen. „Sehen Sie mal, lieber Herr Weitwinkel… alte Mauerreste und Ruinen!“
Weitwinkel betrachtete sich die Stelle genau.
„Das scheinen mir Reste einer phönizischen Ölmühle zu sein… mindestens 500 Jahre älter als Karthago, und ein Jahrtausend älter als die Stadt Rom…Wohlan! Hier werden wir unsere Distillerie bauen!“ rief Weitwinkel.
„Wuff!“ antwortete wiederum der große Berner Sennenhund, ob der Wärme schon etwas hechelnd. „Und hier hin wollen Sie die Schienen legen lassen?“ fragte er.
„Ja. Dann brauchen sie die Ölfässer nicht durch den Ort bis in den Hafen zu rollen, sondern können sie mit der Bahn hinunter fahren!“
Die beiden setzten ihren Weg zur Hütte bei den Latschenkiefern am Gipfel des erloschenen Vulkans fort. Und sie genossen beide den Duft der Insel, der von Frutti di Mare zu Orangenblüten wechselte, und später in Latschenkieferduft wechseln würde.
„Sehen Sie, lieber Herr von Wiezethal…über all die Libellen, Bienen, Hummeln und Schmetterlinge…es ist schön warm, ein leichter Wind weht…der Ausblick über das Meer…“
Aljoscha von Wiezethal drehte sich um, und sah weit unter sich im Hafen die „Senkholzschraube“ liegen, wo die Besatzung schon damit begonnen hatte, Kupferkessel und Holzbalken auf die kleine Dampfbahn zu verladen, um diese Einzelteile zum Bauplatz der Öldistillerie zu transportieren.
„Es gibt hier alle Bäume, die wir brauchen: Bäume mit Früchten, die wir essen können, um gesund zu bleiben, und deren Öle gut riechen, und weiter oben Bäume, deren Öle auch gut riechen, unser Fell geschmeidig machen – und die Haut der Menschen. UND: die kleinen Kiefern in mitten der kleinen Schneematten sind selbst in diesen mediterranen Gefilden eine kleine Erinnerung an weihnachtliche Nadelgehölze. Sogar eine kleine Dampfbahn haben hierhin gebracht…hach…“
„Jaaajaaaa“ hechelte Herr von Wiezethal „was gäbe ich um einen Knochen!“
„Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Das Schiff, daß jedes Wochenende kommt, um das Öl abzuholen, wir ihnen auch jedesmal einen großen Knochen mitbringen, und einen Vorrat an Leberwurstpralinen! Solange Sie mir nur gut auf die Orangen-, Zitronen- und Kiefernhaine aufpassen!“
„Wuff! Das werde ich tun!“

Die beiden erreichten die verfallene Hütte der drei deutschen Fallschirmjäger aus dem zweiten Weltkrieg. Einen grandiosen Blick hatte man von hier. Während sich von Wiezethal in den Schatten einer verwucherten Latschenkiefer legte, erblickte Weitwinkel sogar Katkteen auf dem auf einer dem Dorf abgewandten Bergflanke.
„Sie können hier in Zukunft Erkundungsgänge machen, und herausfinden, ob es hier auch noch andere nutzbare Pflanzen gibt!“ meinte er.
Der große Berner Sennenhund blieb ungerührt unter seinem Baum im Schatten liegen. „Und das alles für ihre „Lazitröl AG“? Was bedeutet das eigentlich?“
„Latschenkiefer und Zitrusfrucht Ölgesellschaft…und ja: das alles, damit ich mehr mit Zitronen handeln kann, und auch Apfelsinen nebenbei… und Bergamotten und Pomeranzen für Aromastoffe. Und die Latschienkiefern aus dem gleichen Grund. Viele Menschenfrauen pflegen sich mit sowas. Und ausgerechnet diejenigen Frauen, an denen unser Chef so einen Gefallen gefunden hat, sind diejenigen, die Bilder von diversen Hautpartien auf twitter posten…. Ach ich weiß es ja auch nicht, was es alles damit auf sich hat…“ seufzte Weitwinkel… „Und wenn wir solche Pflegestoffe selber herstellen, gewinnen wir dadurch Geld. Wir machen das hier ja nicht nur der Früchte wegen oder des Geruchstoffes an sich, sondern wegen der Eudaimonia, dem emotionalen Gleichgewicht der ganzen Welt. Unser armer Chef kann ja nicht immer HartzIV Empfänger bleiben… Mümpf!…Nämlich!“
Auch Herr von Wiezethal konnte nur ein „Wuff“ mit seufzerlichem Unterton von sich geben.

„Und daher die Lazitröl AG. Und wenn ich herausfinden kann, welche Rohstoffe unser Chef sonst noch braucht, damit wir alle mehr Geld haben, Glauben Sie mir, mein lieber Herr von Wiezethal, dann werde ich sämtliche Inseln dafür in Besitz nehmen, die es gibt! So!“

Und so saßen die beiden dann noch eine Weile in der wärmenden Sonne, aber umgeben von kühlem Gestein in mitten von Latschenkiefern mit sehr, sehr kleinen Schneeresten. Und sie blickten auf die kleine vulkanische Insel herab, auf die Gemüsegärten, auf die Häuser, auf die Orangenhaine und die die Zitronenbäume. Und es war ein schöner Anblick.

In den folgenden Tagen richteten die Hasen/Kaninchen, Igel, Bärchen, Erdmännchen und Murmeltiere mit den Matrosenmützen die verfallene Hütte wieder her, so daß sie zu Recht als „Gouverneurspalast“ für den großen Berner Sennenhund Aljoscha von Wiezethal gelten konnte.
Und die Eisenbahn nahm ihren Betrieb auf: Jeden Tag fuhr ein kleiner Zug von der kleinen Distillerie die 450 Meter lange Strecke bis auf die Hafenmole, um dort die Fässer mit den wohlriechenden Ölen und Essenzen abzuladen, ebenso wie die Kisten mit den Zitrusfrüchten.
(es wurde sogar auf dem Marktplatz eine Haltestelle eingerichtet, die die Inselbewohner als Straßenbahnhalt hätten nutzen können – sehr zu von Wiezethals und Weitwinkels Verwunderung taten sie das nicht, sondern gingen den Schritt lieber zu Fuß).
Herr von Wiezethal aß seine Leberpasteten und einmal in der Woche einen großen Knochen, den das regelmäßig erscheinende Schiff mitbrachte. Es war nicht immer die „Senkholzschraube“, mal war es ein Segelschiff, mal ein U-Boot und ein anderes mal ein Dreadnought-Panzerschiff.
Die Inselbewohner hatten sich in ihr Schicksal eingefunden, und lebten weiter wie bisher. Ein paar von ihnen halfen tatsächlich bei der Frucht- resp. der Latschenkieferernte.
Weitwinkel ließ sich stets auf dem laufenden halten, wie sich die Ernte und Ölgewinnung auf der Insel so entwickelte. Er hoffte inständig, mit der Produktion von Pflegeölen seinem Chef einen großen Dienst erwiesen zu haben, und daß dieser sich auch weiterhin an „hübschen nackten Frauenbeinen im Schaumbett und Füßen mit Kettchen drum und lackierten Nägeln“ erfreuen konnte.
(Was immer das bedeuten mochte).

Und wenn Sie das nächste mal in ihrem Badezimmer, Massagestudio, Swingerclub oder Sado-Maso-Keller zum Pflegeöl greifen, dann gucken Sie mal genau aufs Etikett, vielleicht steht da ja doch: „Lazitröl“ 😉

2 Gedanken zu “Athanasius und die Kieferninsel

  1. Pingback: Rubber, Rabbits and the MagicWand – Teil 3b | senior525's Blog

  2. Pingback: Der dunkle Tempel | senior525's Blog

Hinterlasse einen Kommentar