Einkauf. beim NORMA

ein normaler, alltäglicher Vorgang.

Stellen Sie sich vor, das Auto ist ein Schiff.
Und jedes mal, wenn wir einen Supermarkt ansteuern, dann ist es, als ob der Einkaufskorb das Beiboot ist, mit dem wir an Land rudern – denn der Parkplatz des Supermarkts ist der Hafen, und das Schiff liegt in solchem vor Anker. (Außerdem kann man mit einem Auto schlecht in einen Supermarkt fahren.)
Am Landgang behufs des Einkaufens nehmen für gewöhnlich sowohl der Chef als auch Herr Weitwinkel teil. Begleitet vom Zahlmeister, zwei Marinesoldaten und 2-3 Matrosen, die die Einkäufe schleppen. Meistens ist es dann so, daß der Chef mit einem der Marinesoldaten loszieht, um Bier, Milch und Tabak zu kaufen, und der Rest des Landkommandos unter der Leitung des Herrn Weitwinkel die übrigen Regale abklappert. Als Treffpunkt wird dann „vor der Kasse“ ausgemacht.
Der Chef hält neben den Einkaufsplan natürlich auch Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts im Auge – man kann ja nie wissen. Alles zwischen 15 und 55 wird in 0,4253 Sekunden gerastert, analysiert – und eigentlich immer ad acta gelegt.
Ein abenteuerliches Schauspiel ist es, wenn Weitwinkel, und der Zahlmeister, der meistens einen Dreispitz trägt, eine mit einem Gänsekiel beschriebene, büttenpapierne Einkaufsliste abklappern. Dabei kommt es auch vor, das sich Weitwinkel von den Matrosen hochheben läßt, um in die obersten Regale sehen zu können. Bisweilen kauft er dann auch Waren, die ihn spontan faszinieren aber gar nicht auf der Liste stehen.
Nachdem der Einkauf getätigt ist, und die Matrosen die Einkäufe ins Beiboot verfrachten, der Zahlmeister den Einkaufszettel, den Kassenbeleg und die PayBack-Karte mit Weitwinkel durchgesehen hat, streiten dieser und der Chef hin und wieder darüber, ob diese oder jene Ausgabe denn wirklich notwendig war. Dann rudert der Einkaufskorb zurück über den Parklplatz (durch das Hafenbecken) zurück zum Schiff. Dort wird dann alles – wie auf einem großen Schiff – im Laderaum verstaut, und der Maschinentelegraf rattert. Das Ausparken aus der Parklücke ist das Ablegen des Schiffes vom Pier: Die Wachoffiziere lehnen sich über die Brüstung der Brücke, um einen Blick nach hinten zu haben, reichen die Entfernung zum Ufer auf die Brücke weiter; der Rückwärtsgang ist der klingelnde Maschinentelegraf, im Maschinenraum rotieren die Zylinder.
Die Marinesoldaten, bei mancher emotional-politischer Großwetterlage sogar Johanna deClerk und ein paar ihrer Kampflesben, stehen Gewehr bei Fuß, und beobachten die Umgebung.
„Heck kommt frei“
„Backbordmaschine halbe Kraft zurück, vordere Spring kommt frei. Wegfrieren. Klar bei Deckkommando!“
Weitwinkel ist unterdessen in seiner Kajüte verschwunden, oder beschnuffelt die Einkäufe. Der Chef überwacht als „Eigner“ des Schiffes stumm auf der Brücke das Ablegemanöver, und geifert zu den Klängen des Autoradios(wdr2) innerlich über twitter, die bdsm Community, zu Tode tief gnarfend und nicht Galle spucken könnend, legt er mürrisch den Gang ein.
Ein Opel Astra, Baujahr 95 – unter den smarten Gefährten des 21. Jahunderts mit Navi, und mehr Computertechnik als in den Apollo-Mondraketen der Amerikaner verbaut war – da erscheint dieses alte Vehikel wirklich wie ein dampfgetriebener Seelenverkäufer. Es nützt auch nichts, daß die Maate und Heizer, wenngleich hohlwangig und abgekämpft, stolz darauf sind, daß der Kasten noch schwimmt.
Wenn der Kahn wieder auf offener See ist, und den Hafen hinter sich gelassen hat, steht meistens eine Frau in Uniform in der Tür zur Kajüte des Chefs.
Entweder K. oder Johanna.
„Martin…möchtest du die Tagespresse studieren? Das Dossier deiner TL – wer, was, wann mit wem und wie oft….“
Und immer öfter kommt nur ein unwirsches „Nein!“ aus dem inneren der Kajüte zurück. „Diese hohlhirnige Finsternis…. wenn die alle mal vom Leben so gefickt wären wie ich, dann würden sie alle wundgescheurt sein-und zwar oben wie untenrum! und dieses ganze bdsm Blabla, angefangen von der großen Lehrmeisterin bishin zum kleinsten Windelscheißerchen würden alle mal die Schnauze halten. Eigentlich sollten wir mal da…bei diesem Dingens aufkreuzen… ich kann mit meinem bloßen Blick, mehr als …ach was solls… konnte ich mal. Ich hab ja nicht mal mehr eine sporadische Gelegenheit, mir eine Krawatte anzuziehen. Aber wenn…. dann… ich mach mit einer Krawatte, selbst wenn ich sie nur trage, mehr als andere mit ihren 147 Gerten-Floggern, weiß der Kuckuck was… [Stimme wird leiser] ….zumindest war das früher so… [Stimme wird noch leiser] …zumindest war das früher so…“
Die Frau in Uniform an der Kajütentür hat schon längst augenrollend den Gang verlassen, und das Tagesdossier dem Archivar vom Dienst wortlos auf den Tisch geknallt, und ist in die Offiziersmesse – um sich zu betrinken.
Während der Chef noch gedankenversunken und abgestumpft, in seinen Erinnerungen seine Dominanz und Potenz wiederzufinden sucht, oder zumindest ein paar schemenhafte Hinweise dazu, steht Weitwinkel in der Tür. Klopft vorsichtig an.
„Huhu…. die Pfrau Chamäleon wünscht uns über Funk einen guten Morgen, Chef!“
„Danke gleichfalls!“
„…und…ähm…wir haben noch 9,60€, mein Chef. Das sind 10 Rechnungs-Euro, bzw. 9 Valuta-Euro. Da kommen noch hinzu 1,25€ an Pfand der Bierpflaschen, die Sie eben gekaupft haben, mümpfennämlich.“
Der Chef hat nicht zugehört. Oder er hat zugehört, aber dann nur als Untoter. Mit unbewegter Miene fragt er: „Wie lange noch?“
„Ähm…ähm… das muß nach unserem jetzigen Kenntnisstand noch 5 Tage reichen, euer Gnaden!“
Das reicht nie.
„Lassen sie die Rationen halbieren. Tabak nur auf Bezugsschein. Essenausgabe nach Vorschrift, keine Bevorzugung der Offiziere.“ Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel gepreßt, die Augen verschlossen. „Ich hab nicht mal das Geld für neue Schnürsenkel. Schwarze Schuhe und Schuhwichse ist reichlich da – ich seh nachts um halb drei mit 2 Promille noch dominanter aus -und bin es auch-, als diese ganzen Schwafel-Heinis… aber ohne Schnürsenkel…“ [tiefes seufzen]
„Bitte was?“
„Ach nichts, Weitwinkel… nichts. Gehn` Sie. Ich komm gleich auf die Brücke. Und sagen Sie dem LI, er soll den Brennstoff peilen. Ich will nicht schon wieder mit dem letzten Tropfen die Aral ansteuern müssen.“
„Da sammeln wir aber Payback-Punkte, nämlich!“
[ orrr. seufz!]

„ICH WÄRE VERFICKT NOCHMAL FROH, WENN WIR NE SCHATZINSEL ANLAUFEN KÖNNTEN…und jetzt raus mit Ihnen!“
[„gehen Sie ihren Weihrauch, oder was auch immer sie unnötigerweise heute gekauft haben, beschnuffeln“ -> in Gedanken hinzugestezt]
Wie jeder gutaussehende, kompetente, mit Augen-die-frau-zum-feuchtwerden-veranlassende, aber leider leidende und zwangsweise hungernde und eine abgewetzte, reparaturbedürftige Uniform tragender Kapitän gießt sich der Chef erstmal ein Glas eines alkoholischen Getränkes ein. Das Schiff bewegt sich sanft in der Dünung. Der Astra rollt deshalb so gut über die Straßen des Landkreises Ahrweiler, weil der Asphalt hier genauso alt ist, wie das Auto selbst.
Durch das Oberlicht fällt etwas Licht in die Kajüte. Stumm sieht er dem blauen Dunst der Zigarette hinterher.
Im Hintergrund hört man die Kommandos an Deck.
„Zehn Grad Steuerbord! Lichtzeichen setzen!“ …der Maschinentelegraf rasselt.
„All die un- und fehl-gefickten Mösen meiner Generation, die mir versagt blieben… und jetzt sitzen Sie da..unglücklich… und lassen sich von der Premiummuschi belehren, wie man sich selbst noch schneller an die Wand fährt. Einfach mehr Vollgas geben…. nee…ich brauch das Tagesdossier nicht zu lesen. Ich WILL diese Welt gar nicht mehr hören. Alles, was ich in der Schule oder bei meinen Großeltern gelernt hab, ist heute verboten, verpöhnt oder ungesund. Das einzige was mich von den scheiß-beschissenen Nazis unterscheidet, ist der Glaube an den lieben Gott. Aber [Chef lacht verzweifelt diabolisch in sich hinein] das macht nichts. Das haben diese schwarzbelederten ignoranten Säulenheiligen der Gutmenscherei mit den Nazis gemeinsam: Dem Zimmermann aus Galiläa hören genausoviel oder wenig zu wie mir… Ach was solls…“
Müde reibt er sich den Kopf, bemerkt, das seine eigenen langen Gedankensätze nur für denjenigen noch einen Sinn ergeben, der auch in seinem Kopf wohnen würde, ihm zuhören würde.
Ein heftiges Reiben der Augen. Wieder wach sein.
Mürrisch, sehr sehr mürrisch, stapft er den Korridor entlang, und entert zur Brücke auf.
Ein Maat pfeift „Käptn auf Brücke“. Unwirsch läßt der Chef sich auf seinen Sitz fallen.
„neun Euro für 5 Tage…. “ seufzt er.
„BLINKER LINKS! Und beide Maschinen große Kraft voraus!“ Auf einmal ist er dann wieder wach. Hellwach. Und konzentriert.
„Obersteuermann! Ich erbitte mir ein Überholmanöver aus, bei dem selbst Falbalus und Ophelia Ehrenblowjobs als Lobeshymnen darbieten würden! Vollgas, wenn ich bitten darf!“
Der Obersteuermann knallt die Hacken zusammen, salutiert: „Jawoll mein Chef!“.
Der Motor heult auf.
Im Tank ist mehr heiße Luft als Benzin.
Weitwinkel hält sich in seiner Kajüte, von der plötzlichen Beschleunigung überrascht, verzweifelt irgendwo fest, während um ihn herum die Zitronen, mit denen er handelt, herumpurzeln.
Der Astra zieht mit Müh und Not, 70 verschlissene PS aussaugend, an einem lahmarschigen SUV vorbei. Von so einer unglücklichen Familienmutter MitteEnde 30, die auf ihrem geheimen Twitteraccount davon träumt, von einem Mann geschlagen, vergewaltigt und angepißt zu werden. Stattdessen söhnt sie sich mit ihrem Mann den Kindern zuliebe aus, und fährt vom Einkaufen direkt weiter zur „Kita Spatzenhirn“, nur um den nächsten augenroll-tweet zu verfassen. Der landet in ihrer TL gleich hinter Ophelia, MarieMoreau und Falbalus. Den alten, klapprigen bordeauxroten Astra, mit Triskelen, Effzeh und Lazitrölaufkleber, der da grade lebensgefährlich nahe an ihr vorbeiflankt, nimmt sie gar nicht wahr.
An Bord brummt sie Maschine.
„Wir schwimmen noch.“ schnaubt der Chef verbittert in sich hinein. „wir schwimmen noch.“
Autofahren ist seit je her immer eine Sache der Marine gewesen.

Rubber, Rabbits and the MagicWand – Teil1

hongkong

Funkspruch des ZA an die Geheimdienstzentrale: „Der Magic Wand ist alle. ZA-1 in Hongkong inhaftiert.“

Naturkautschuk wird meist in Südostasien aus Latex gewonnen, dem Milchsaft des ursprünglich aus Brasilien stammenden Kautschukbaumes (hevea brasiliensis). Er dient hauptsächlich der Herstellung von Gummi (Elastomere) mittels Vulkanisation.

In der deutschen Sprache sind Eigennamen von Schiffen grundsätzlich weiblich. Ob „Gorch Fock“, ob „Bismarck“, ob „Goethe“ oder „Drachenfels“: wird der Name eines Schiffes genannt, so ist der dazu gehörige Artikel „die“.
Nun ist die snöffische Marine ein in der Summe recht überschaubarer Verein – es gibt neben vielen kleinen hölzernen Flußkähnen und Schaluppen lediglich zwei große Überwassereinheiten: Die dem geneigten Leser vielleicht schon bekannte „Senkholzschraube“, einem Hochseeraddampfer mit zwei Geschützen und… dann ist da noch das andere Schiff: der „Khedive“.
Als im Star-Wars Universum dem dortigen Imperium bei einem Zwischenfall ein kleiner Sternenkreuzer abhanden gekommen war (eines von den lang gezogenen spitzen Dreiecken), und darauf hin kurze Zeit später der Rumpf dieses Fahrzeuges unweit der snöffischen Küste im Meer trieb, dauerte es nicht lange bis der Küstenschutz das Wrack entdeckte.
Zu den Eigenheiten des snöffischen Volkes, das ja in der Hauptsache aus Hasen, Igeln, Bärchen, Murmeltieren und sonstigen friedfertigen Gesellen besteht, gehört eines sicher nicht: Die Weltraumfahrt. So kletterten denn die dem Leser vielleicht ebenso schon bekannten Marine-Hasen auf dem Wrack herum, und es dauerte nicht lange, bis dieses Wrack als Überwasserschiff genutzt wurde. Völlig seiner futuristischen Technik und Inneneinrichtung beraubt, mit zwei großen MAN-Dieseln und sechs 88mm-See-Geschützen versehen, war der „Khedive“ seitdem der geheime Stolz der snöffischen Marine. Äußerlich, durch seine dreieckige Erscheinungsform einem hypermodernen Stealth-Schiff ähnelnd, innerlich ein schwerfälliger Koloß auf dem technischen Stand der 40er Jahre, setzte das snöffische House of Lords den „Khedive“ nur sehr, sehr selten, für äußerst wichtige Missionen ein.
Selbst Athanasius Weitwinkel, mußte sich die Benutzung dieses Schiffes auf einem extra hierfür einberufenen außerordentlichen snöffischen Weinfest genehmigen lassen.
Meine eigene Marine war, um ehrlich zu sagen, doch recht neidisch auf den Pott, und Kerstin hätte ihn gerne als unsere eigene neue Geheimwaffe in unsere Dienste überführt – aber ich war mit dem snöffischen House of Lords übereingekommen, das Snöfland den „Khedive“ behalten könne, dafür aber von einem weiteren Ausbau ihrer Seestrreitkräfte (von besagten kleinen Booten einmal abgesehen) Abstand nahm.
Der Name „Khedive“ kommt aus dem ägyptisch-osmanischem Kontext, und bedeutet soviel wie „Vizekönig“. Warum Snöfland dieses Schiff so taufte – who knows. Sie bestanden aber auch auf dem männlichen Artikel.

Zurück in die reale Welt: Polizeipräfektur Hongkong. In einer menschenunwürdigen warmen, stickigen Einzelzelle starrte eine junge Frau gelangweilt die Decke an. Außer ihren Flecktarnhosen und dem verschwitzen beige-farbenen tank-Top hatte sie nichts. Vor zwei Tagen hatte die Polizei der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong versucht, die junge Frau in einer üblichen Mehrpersonenzelle unterzubrinegn – was aber in einem Tumult und einer Schlägerei unter den inhaftierten Frauen geführt hatte. Meist noch minderjährige Nutten, Laden- und Garküchenbesitzerinnen, die es gewagt hatten, ihre Schutzgelder nicht fristgerecht zu bezahlen, und allerlei zwielichtige Gestaltinnen mehr.
Johanna de Clerk hatte es schlichtweg für unter ihrer Würde gehalten, mit 25 dieser Chinesinnen in einer Zelle zubringen zu müssen, die von ihren britischen Erbauern ursprünglich einmal für 4 Personen gedacht war. Also hatte sie sich auf ihre Art „ein Einzelzimmer bestellt“, und eine Schlägerei angefangen. Die chinesischen Polizisten hatten es dann auch ihrem Wunsch gemäß für klüger befunden, die renitente Europäerin in eine Einzelzelle zu verfrachten.
Leider hatte Johanna in diesem Tumult auch noch ihre Flipflops verloren, so daß sie nun barfuß war. Das war aber nicht weiter tragisch gewesen, sie hatte in ihrer Kindheit in Südafrika auch selten Schuhe getragen.
Aber diese Einzelzelle – so sehr sie hier ihre Ruhe hatte, war entsetzlich dreckig. Im Boden war ein offenes, stinkendes Loch, in dem mannigfache Reste von Exkrementen und vertrocknetem Monatsblut an der zersplitterten Keramikeinfassung klebten – außerdem Reste von Reis und einer undefinierbaren Masse, die zu leben schien.
Einen Ventilator gab es nicht, und die Klimaanlage die am vergitterten Fenster angebracht war, war augenscheinlich defekt. Man hörte den Lärm der asiatischen Megacity, ein ständiges surren und summen und hupen. Die Luft in der Zelle war an sich schon schlecht, aber besser war sie außerhalb sicherlich auch nicht – der Smog lag wie eine Glocke über Hongkong.
Was Johanna aber in ihrer Lage nicht verzweifeln ließ, war die Tatsache, das sie kurz vor ihrer Festnahme noch einen Notruf hatte absetzen können. Sie wußte, irgendjemand würde sie hier rausholen kommen. Sie wußte nicht, wer das sein würde, oder wann und wie – aber sie blieb gelassen.

Von offiziell registrierten Anlegeplätzen in Hongkong sprechen zu wollen, wäre wohl etwas zu viel verlangt. Aber irgendwo, mitten in einem maritimen Gewusel aus Küstenmotorschiffen, Dschunken, Fähren und kleinen Fischerbooten, strebte eine Motorbarkasse dem Ufer zu.
Die Motorbarkasse war umseitig geschlossen, so das man nicht sehen konnte, wer die Passagiere waren. Einzig am offenen Ruderstand hätte man einen langen dünnen Hasen in marineuniform erkennen können, der auf den Namen Günther gehört hätte.
Irgendwo in dem Gewusel zwischen Wasser und Land, zwischen all den kleinen anderen Wasserfahrzeugen, verschwand die Barkasse um unentdeckt an einem kleinen Steg festzumachen.

„Seufz…diese Stadt hätte niemals an die Chinesen zurückgegeben werden dürfen…seufz…“
Eine halbe Stunde, nachdem die Barkasse an einem der unzähligen Stege fetsgemacht hatte, tappste Athanasius Weitwinkel unter Hitze und Smog leidend, durch das Straßengewirr Hongkongs.
„Früher hätte ich im Gouverneurspalast diese Angelegenheit aus dem Weg räumen können. Ich hätte mit seiner Exzellenz dem Statthalter auf der Veranda sitzen können, Earl Grey getrunken, Gebäck geknabbert, uns von indischen Dienern im Livree Zitronenlimonade reichen lassen und uns von malayischen Lakaien im Livree Luft zu fächern lassen können….mümpf!“
Weitwinkel seufzte. Auf seinem Weg durch das Gewirr der Straßen und Menschen wurde ihm sehr, sehr schwer ums Herz. Er versuchte sich mit dem summen von „Rule Britannia“ Mut zu machen, und an bessere Zeiten zu denken. Das erste mal war er in Hongkong gewesen, als das zweite Dampfschiff in der Geschichte überhaupt in Hongkong festgemacht hatte. Das letzte Mal war war in dieser Stadt am 30. Juni 1997 gewesen – zur Übergabezeremonie an die Chinesen. Er hatte sich an Bord der „Britannia“, der Yacht der königlichen Familie, als Royal Sea-Hare (königlicher Seehase) eingeschlichen, um Prinz Charles zu trösten. Leider war dieser Versuch königlich gescheitert: Er weinte wesentlich mehr als der Prince of Wales selbst.
Während er so durch die Straßen tappte, vorbei an unzähligen Garküchen, keuchenden Kulis, stinkenden Mopeds und hupenden Taxis, da blickte er in die vielen chinesischen Gesichter. Die vielen Menschen, die ja eigentlich nichts dafür konnten, das sie ja jetzt Chinesen und keine Untertanen ihrer Majestät mehr waren. Und wieder summte er, um sich aufzumuntern, und um nicht total emotional zu vermümpfen. Das Motiv aus „Tochter Zion“, das bei Orchesteraufführungen gerne als Intro zu „Rule Britannia“ gespielt wird.
Nach einiger Zeit hatte der wackere Athanasius Weitwinkel die Poliziepräfektur gefunden, die er gesucht hatte. Glücklicherweise waren die wichtigen Dinge in dieser Stadt immernoch nicht nur auf chinesisch, sondern auch auf englisch ausgeschildert.
„Es ist so furchtbar heiß hier…mümpf…ich fühle mich wie gebraten. Warum kann ich diese Angelegenheit nicht bei einer gekühlten Zitronenlimonade im britischen Gouverneurspalast auf der Veranda erledigen? Mümpfenschwitz!“ seufzte Athanasius Weitwinkel, als er die Stufen zum Büro eines gewissen Herrn Quang, dem zuständigen Beamten, hinaufstapfte. Als Hase hatte er es zum einen schwer, die kleinen Treppenstufen zu benutzen, ohnehin litt er ja unter seinem Pelz unter den Temperaturen und der schlechten Luft. Es stank nach Reis, Chop Suey, chinesischen Zigaretten und undefinierbaren anderen Stoffen.
„Mümpfendreck! Anstatt mit einem Statthalter zu dinieren, muß ich zu einem chinesischen Beamten Treppen hianufsteigen… o tempora, o mores…seufzenmümpf! Schwitz!“
Sicherheitsbeamte und Pförtner, die ihn anhalten wollen, schubste Weitwinkel einfach aus dem Weg – und trat letztendlich mit einem lauten Türknall in das Büro des Herrn Quang.

…to be continued…
Teil 2

Athanasius und die Kieferninsel

Ich wollte ja eigentlich was ganz anderes schreiben –  vielleicht etwas mehr in die Richtung Erotik. Aber das hier war plötzlich da, und mußte einfach raus. Es hat nur gaaaanz entfernt etwas mit Erotik zu tun, und ist vielleicht der Auftakt zu einem Reigen von Kurzgeschichten, die zusammen ein großes ganzes ergeben.

Neulich auf twitter: Eine Frau postet ein Badewannen-Entspannungsbild. „Nacktes Bein im Schaumbett. Nackter Fuß mit Kettchen drum und lackierte Nägel“. Der user @ChefleGrand setzt ein „rrr“ darunter, die Frau antwortet mit einem Kuß&Zwinkersmilie zurück.
Soweit die Vorgeschichte.

Es soll ja Menschen mit Fußfetisch geben. Meistens Männer. Und es soll ja auch Frauen geben, die ihre Füße, so sie diese denn selbst gut leiden können, auch entsprechend pflegen. Nun ist die Geschichte der Fuß- und überhaupt Körperpflege so alt wie die Menschheit selbst. Und so unsexy und so sehr nach Altersheim es klingt: Die Latschenkiefer, respektive die aus ihr gewonnenen Öle haben sich in dieser Hinsicht als probates Mittel erwiesen. Weiterhin sind ja auch seit Jahrhunderten die Öle und Essenzen, die aus Zitrusfrüchten gewonnen werden ein nicht unerheblicher Bestandteil entsprechender Kosmetika. (frei nach dem Motto: „Orangen gegen Orangenhaut!“)
Man könnte also davon ausgehen, daß dort, wo Männer mit Fußfetischen und Frauen mit gepflegten Füßen vermehrt auftreten, der Bedarf nach (Fuß-)Kosmetika gegeben ist.
Nun gut.
Weiterhin gereichen diese aus Latschenkiefer und Zitrusfrüchten gewonnenen Öle auch zur glänzenden Fellpflege bei Tieren, Haustieren um genauer zu sein. Und einjeder, der eine Nase hat, wird auch wohl den harmonischen Düften dieser Öle und Essenzen zugetan sein.

Nun gibt es irgendwo im Mittelmeer eine kleine, runde Insel. Sie besteht im Prinzip aus einem erloschenen Vulkankegel, der sich aus den Fluten erhebt.
Diese kleine Insel ist sehr merkwürdig: Das sich an den Flanken des Vulkankegels Orangen- und Zitronenhaine aneinander reihen, ist nicht weiter verwunderlich. Aber die Spitze des erloschenen Vulkans reicht so hoch hinauf, das dort, trotz des mediterranen Klimas (allerdings ein sehr kleiner) Latschenkieferbestand gedeiht. Unter günstigen Voraussetzungen bleiben hier sogar hin und wieder Schneeflocken liegen, und kleine Schneematten überleben am Nordhang den Sommer über. Zugegeben, sehr kleine Schneematten.
Auch die Bewohner der Insel sind sehr merkwürdig: Die Insel liegt sooo weit „ab vom Schuß“, das sie schon selbst nicht mehr wissen, ob sie nun Italiener oder Griechen oder ganz etwas anderes sind. Es wohnen auch nur alte und mittelalte Leute auf dieser Insel – die jungen sind fort in die großen Städte aufs Festland gezogen.
Es gibt auch nur ein kleines Fischerdorf auf dieser Insel – kleine bunte mediterrane Fischerboote dümpeln an der Mole, oder liegen umgedreht auf dem kleinen Kiesstrand.
Ein paar Häuser und eine kleine Kirche erheben sich überhalb des Dorfes in den Orangenhainen – und die zahnlosen, fröhlichen alten Menschen leben friedlich von Fischfang und ihren kleinen, niedlichen Gemüsegärten.
Touristen kommen so gut wie nie auf diese Insel: sie ist einfach zu klein, und zu weit weg. Dabei duftet diese Insel unten am Strand und im Dorf nach Meer und Frutti di Mare, oberhalb des Dorfes nach Orangen, Zitronen, Pomeranzen und Bergamotten, und ganz oben, rund um den kleinen Vulkankrater nach schneegekühlter Latschenkiefer.

Im Zweiten Weltkrieg waren einmal Fremde hier: unten im Hafen bewachten drei gelangweilte englische Soldaten ein Funkgerät, und ernährten sich von ihren Corned-Beef Konserven. Man hatte sie in London offenbar eine Zeit lang vergessen, denn sie wurden erst 1947 wieder von einem Schiff der Royal Navy abgeholt.
Und oben, am Rand des Vulkankraters, langweilten sich in einer kleinen Hütte drei deutsche Fallschirmjäger, die ihrerseits ein Funkgerät bewachten, und sich von ihren Reichs-Fischkonserven ernährten. Da sowohl die Engländer als auch die Deutschen ihren Dienst als äußerst langweilig empfanden, und nie Erkundungsgänge unternahmen, sind sie sich nie begegnet – es kam zu keinerlei Kampfhandlungen. 1944 sind die Deutschen dann auch spurlos verschwunden, niemand weiß, was aus ihnen geworden ist.
Und so liegt nun diese kleine Insel, eingelullt von ihrer eigenen Beschaulichkeit, irgendwo im Mittelmeer.
Der sanfte Wind streicht lieblich warum um die Bäume und Häser, die Grillen zirpen, die Bewohner grillen Fisch und machen Tomatensalat, die Wellen plätschern lahm rauschend an den vulkanischen Kiesstrand.

Wäre da nicht die Rauchwolke, die am Horizont über den Weiten des Meeres läge. Und käme diese Rauchwolke nicht langsam näher.
Die Bewohner der Insel werden der Wolke nicht gewahr, niemand rechnet mit einem Schiff. Schon gar nicht mit einem solchen.
Es ist seltsames Schiff, das sich dieser Insel nähert. Anstatt einer Schraube am Heck hat es an den Seiten große Schaufelräder. Diese werden von einer einfachen Dampfmaschine angetrieben, die in langsamen Takt die Zylinder auf und nieder treibt, und stetig mit Steinkohle gefüttert werden will. Der Rumpf des Schiffes ist rot und gelb gestrichen, oberhalb der Wasserlinie gelb, unterhalb derselben rot.
Auf dem Deck stehen drei Masten, ein Fockmast vorne, ein Großmast in der Mitte und ein Besanmast am Heck – Segel sind keine gesetzt. In der Mitte des Schiffes steht ein Ruderhaus, dahinter ein schwarzer Schornstein, mit gelbem Zierring, dem der schwarze Rauch der Dampfmaschine entsteigt. Weiterhin stehen sowohl auf dem Vorder als auch dem Achterdeck jeweils eine große Kanone, die um 360 Grad gedreht werden könnten, wenn man denn wollte. Sonst ist auf dem Deck des Schiffes nichts weiter besonderes, nur zwei Ladeluken und zwei Beiboote. Ein merkwürdiges Schiff.
Beiderseits des Bugs und am Heck steht der Name geschrieben: Das Schiff heißt „Senkholzschraube“.

Und was nun folgt, ist eine Annexion. Als Putin die Krim geklaut hat, dann war das ja an und für sich schon eine völkerrechtswidrige Tat, aber irgendwie…hm… ein „Klau unter Brüdern“. Ein Versehen, sozusagen.
Aber hier wird die friedliche Mittelmeerwelt mit einem einzelnen Kanonenschuß aus ihrem Schlaf gerissen. Das hier, das ist einfach eine Okkupation.

Ohne Not, einfach so, feuert das Schiff einen Kanonenschuß ab. Und kurz darauf spritzt eine Wasserfontäne im Hafenbecken des kleinen Fischerdorfes der kleinen Insel empor.
An Deck der „Senkholzschraube“ blickt ein ansonsten deprimiertes Kaninchen in grauem Talar befriedigt auf seine silberne Taschenuhr. „Punkt 12.00Uhr!“ – und zu dem großen Berner Sennenhund mit barockem Mittelscheitel zu seiner rechten gewandt: „Damit hätten wir uns offiziell angekündigt! Mümpf!“
Der angesprochene, Aljoscha von Wiezethal, seines Zeichens großer Berner Sennenhund, guckt in Richtung der Insel, dann zu Athanasius Weitwinkel, dann wieder zur Insel hinüber.
„Wuff!“ weiß dieser im ersten Moment nur zu erwiedern.
„Sehen Sie, mein lieber Herr von Wiezethal, schon bald gehört diese Insel uns! …Nämlich!“
„Solange ich meine Leberwurstpasteten zu essen bekomme, und mich nicht von Apfelsinen ernähren muß, soll es mir recht sein, mein lieber Athanasius Weitwinkel!“
„Keine Sorge, mein lieber Herr von Wiezethal, Sie werden gut versorgt sein! Schließlich sollen Sie ja der neue Gouverneur dieser Insel werden!“
„Wuff! Es ist mir eine Ehre! Aber eine Bitte hätte ich da noch…“
Herr von Wiezethal legte den Kopf etwas in die Schräge: „Bitte keine Kanonenschüsse mehr, ich mag keine lauten Geräusche!“
„Selbstverständlich, mein lieber Herr von Wiezethal, selbstverständlich. Es war nur dieses eine Mal, um uns anzukündigen!“
„Wuff! Was genau soll meine Aufgabe dort sein?“
„Nun…wissen Sie…unser Staat braucht Geld. Daher müssen wir etwas herstellen, was wir anschließend verkaufen können. Und da ich als Reichskassenwart und Hüter des Portemonnaies unseres Chefs lange schon mit Zitronen gehandelt habe, gedenke ich mit der Einnahme dieser Insel meine Zitrusfruchtplantagen zu erweitern.“
„So wollen Sie etwa Zitronen und Apfelsinen verkaufen, um an Geld zu kommen?“
„Nicht nur das, lieber Herr von Wiezethal, auf dieser Insel wachsen auch Pomeranzen und Bergamotten. Und sehen Sie“, Weitwinkel deutete auf den Gipfel des erloschenen Vulkans, „dort oben gedeihen sogar Latschenkiefern. Wir werden auf der Insel eine kleine Distillerie errichten, um aus den Pflanzen wohlriechende Öle und Essenzen zu gewinnen. Zu diesem Zweck habe ich extra eine eigene Gesellschaft gegründet, die „Lazitröl AG“, die die Öle und Essenzen vermarkten soll. Wir können dort biologischen Anbau ohne Chemie verwirklichen. Denken Sie nur, die ganzen Wohlgerüche und pflegenden Essenzen!“
Weitwinkel geriet merklich ins schwärmen.

„Wußten Sie, daß Latschienkiefernöl besonders gut für zarte Haut und ein zartes Fell ist?“
„Nein, das wußte ich nicht. Wuff!“
„Sehen Sie. Und die Menschen erst…die haben zwar kein Fell, aber sie wissen die Wohlgerüche ebenso zu schätzen. Ich habe gehört, wie unser Chef etwas diesbezügliches mal in einem Halbsatz hat fallen lassen. Er sprach etwas von gepflegten Füßen…ich habe zwar nicht ganz mitbekommen, um was es ging, aber ich denke, mit der Lazitröl AG können wir vielleicht etwas Geld machen.
Jedes Wochenende wird ein Schiff kommen, daß die Wochenproduktion abholt. Und Ihre Aufgabe wird es sein, die Hege und Pflege der Pflanzen, die Ernte und die Produktion zu überwachen. Und als Gouverneur werden Sie nicht nur unsere Truppe kommandieren, sondern auch in meiner Vertretung, dh. letzendlich auch in der Vertretung unseres Chefs über die Inselbewohner zu Gericht sitzen, Recht sprechen und Steuern erheben!“
„Wuff!…Soll ich etwa mit arbeiten, wenn die wohlriechenden Öle hergestellt werden?“
„Aber nein, mein lieber Herr von Wiezethal. Wir als adelige Tiere müssen ja die Stellung unseres Standes wahren! Wenn unsere Leute bei der Produktion nicht ausreichen sollten, so verpflichten sie einfach ein paar Eingeborene. Ich lasse Ihnen da völlig freie Pfote!“

„Wuff! Ich werde versuchen, mein Amt nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen! Nur… das warme Klima hier macht mir etwas Sorgen…“
„Auch seien Sie hier ganz unbesorgt – es gibt dort oben am Gipfel in den Latschenkiefern eine kleine Hütte von deutschen Soldaten aus dem letzten Weltkrieg, die werden wir als aller allererstes wieder herrichten, als ihren Goveneurspalast!“
„Eine ganze Hütte, für mich allein? Wuff!“
„So ist es. Von dort oben können Sie fast die ganze Insel überblicken, und sie haben es wegen der Höhe schön angenehm kühl.“

Unterdessen hatte die „Senkholzschraube“, der ganze Stolz der snöffischen Marine, die Hafeneinfahrt passiert, und die Fahrt verlangsamt. An der Mole war schon etwas Volk zusammengelaufen, daß nun neugierig das folgende Spektakel beobachtete: Die „Senkholzschraube“ kam langsam längsseits zur Hafenmole, von Deck wurden dicke Taue an Land geworfen. Herbeigelaufene Inselbewohner überwanden ihre Scheu, und beeilten sich, die Taue an den Pollern festzumachen.
Sodann wurde eine Gangway von Bord des Schiffes auf die Hafenmole geschoben, über dann Athanasius Weitwinkel, das Kaninchen im grauen Talar, Reichskassenwart und Vorweiner des snöffischen House of Lords, würdevoll als erster an Land schritt. Ihm folgte Aljoscha von Wiezethal, der Berner Sennenhund und zukünftige Gouverneur der Insel.
Dann folgte die Landungstruppe: Vierzig Hasen/Kaninchen, Igel, Bärchen, Erdmännchen und Murmeltiere stapften einer nach dem anderen an Land. Einjeder von ihnen trug auf dem Rücken einen Tornister, und einen 98er Karabiner über der Schulter. Im Koppel hingen bei jedem eine Feldflasche mit Kakao, zwei Handgranaten, ein Klappspaten und ein Beutel mit Schokoladenkeksen.
Und auf dem Kopf trug jeder dieser Truppe eine blau-weiße Matrosenmütze (mit hinten den zwei flatternden Bändern), und auf dem Schirmfeld der Mütze stand in goldenen Buchstaben „SMS Senkholzschraube“.
Als die Truppe vollzählig auf der Hafenmole stand, trat eines der Murmeltiere einen Schritt nach vorne, salutierte vor Weitwinkel und von Wiezethal, und meldete: „Landungstruppe vollzählig angetreten, Euer Gnaden!“
Weitwinkel nickte kurz und huldvoll, und sprach zu von Wiezethal: „Es wird Zeit den Ort und die Insel in Besitz zu nehmen. Gehen wir!“ Die beiden wandten sich zum gehen. Hinter ihnen kommandierte das Murmeltier: „Aaaaabteilung – links um!“
Die Truppe von Hasen/Kaninchen, Igel, Bärchen, Erdmännchen und Murmeltieren machte eine 90-Grad-Wendung.
„Aaaaabteilung marsch! …Mümpf…mümpf…mümpf, zwo, drei, vier…Mümpf …mümpf…mümpf, zwo, drei, vier…!“

Diese abenteuerliche Prozession zog nun also im Gleichschritt in Richtung des Hauptplatzes des Ortes. Die Inselbewohner trauten ihren Augen nicht recht, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und lamentierten auf vielfältige Weise in ihrer mediterranen Sprache.
Es dauerte auch wirklich nur drei Minuten, bis der Zug auf dem kleinen Marktplatz des Dorfes angekommen war.
Da die Bewohner schon selbst nicht mehr wußten, welcher Nationalität sie eigentlich angehörten, war es auch nicht ersichtlich, welche Flagge an dem Mast vor dem Balkon des Rathauses geweht haben mochte. Da hingen nur noch die traurigen Fetzen einer EU-Fahne, die andere fehlte einfach. Das Rathaus war ein offensichtlich sehr altes Gebäude, denn über der Türe befand sich ein in Stein gemeißelter, schon stark verwitterter Venezianischer Flügel-Löwe. Demnach hatte die Insel also irgendwann einmal zur Dogenrepublik gehört – aber es war auch gut möglich, das den Venezianern irgendwann einst die Osmanen als Herren der Insel nachgefolgt waren – man weiß es eben nicht.
Das Rathaus selbst war in einem ungepflegten Zustand: die Fensterläden und die Tür, von denen die weiße Farbe abblätterte, waren geschlossen, und der Putz bröckelte von der Fassade.
Als nun Weitwinkel und von Wiezethal mit ihrer Truppe vor dem Rathaus angekommen waren, stürmten zwei Erdmännchen, auf einen Wink Weitwinkels hin, zum Rathaus, und schlugen mit ihren Gewehrkolben so lange auf die Türe ein, bis diese endlich mit einem lauten Krach nachgab. So dann verschwanden sie im Inneren des Gebäudes, um kurz danach die Balkontür aufzureißen, und auch die letzten Fetzen der EU-Fahne vom Mast zu nehmen. Statt dessen hißten sie eine orange-dunkelblau karierte Fahne, die snöffische Kriegsfahne.
Unterdessen waren nun alle Bewohner der Insel auf dem Marktplatz zusammen gekommen, und verfolgten stumm und mit großer Verwunderung, was dort vor sich ging.
Weitwinkel, das Kaninchen, stellte sich mit von Wiezethal, dem Berner Sennenhund, auf die Stufen der Rathaustreppe. Die Bewohner verstanden sicherlich kein deutsch, aber Weitwinkel sprach dennoch zu ihnen:
„Liebe Bewohner dieser Insel!
Euere Insel ist ab jetzt snöffische Kolonie und Protektorat. Dies hier, neben mir, ist der ehr- und flaschwürdige Aljoscha von Wiezethal, euer neuer Gouverneur und fortan euer Oberhaupt. Benehmt euch!“
Er deutete auf von Wiezethal, der mit einem „Wuff! Wuff!“ seine Ernennung zum Gouverneur annahm.
Weitwinkel fuhr fort: „Und damit, seid ihr, liebe Inselbewohner, von nun an auch Untertanen unseres Chef!“
Auf einen Wink von ihm entrollten die beiden Erdmännchen auf dem Balkon des Rathaus ein auf Stoff gemaltes Porträt von @ChefleGrand.
[Anmerkung der Redaktion: ICH.HAB.IHM.HUN-DERT-MAL. GE-SAGT: Ich will keinen Personenkult! Keine übergroßen Porträts! Und was macht der? Besetzt eine Insel und entrollt mein Bild -.- …tzäh! ]
Die Inselbewohner verstanden immer noch nicht so recht, was sie von dieser Zeremonie nun halten sollten. Zwei oder drei schwarzgekleidete zahnlose alte Mütterchen knieten sich sogar hin und bekreuzigten sich, wohl in der irrigen Annahme, es handele sich bei dem abgebildeten um einen Heiligen oder einen Monarchen.
„Und an seiner statt wird der von nun an der ehr- und flauschwürdige Herr von Wiezethal über euch regieren, zu Gericht sitzen und die Steuern erheben! Amen!“

Damit war die offizielle „Inbesitznahme“ der Insel abgeschlossen.

Die Inselbewohner standen erst noch etwas ratlos herum, und zerstreuten sich dann wieder in ihrem Dorf.
Aber auch die Landungstruppe zerstreute sich.

Wenn die Amerikaner irgendwo einmarschieren, was tun sie als erstes? Richtig – sie verteilen Süßigkeiten an die Kinder.
Wenn die Außerirdischen irgendwo landen, was tun sie als erstes? Richtig – sie versuchen mit ihrer Heimatwelt Kontakt aufzunehmen.
Und was tun Snöffländer als aller aller erstes, wenn sie irgendwo landen? Richtig:
Sie fangen an, eine Eisenbahn zu bauen.

Die Besatzung der „Senkholzschraube“ hievte mit den zu Kranauslegern umfunktionierten Rahen der Masten eine Menge Technik und Einzelteile aus den Ladeluken auf die Hafenmole. So auch vorgefertigte Schienenteile einer 750mm Schmalspurbahn, samt kleiner Dampflokomotive (wie man sie von historischen Fotos aus Bergwerken, Steinbrüchen o.ä. kennt) und Waggons.
An und für sich infrastrukturell fragwürdig, bei einer Insel, die gerademal anderthalb Kilometer lang wie breit ist. Aber Athanasius Weitwinkel hatte bei der Planung dieser Expedition eben nicht nur an den wirtschaftlichen Erfolg gedacht, sondern auch an eine gewisse „kulturpropagandistische“ Komponente.
Eine kleine Insel, die so klein, sanft, warm und wohlriechend ist, muß auch eine Eisenbahn haben. Punkt. Da war nicht dran zu rütteln.

Auf halben Wege zwischen Rathaus und der Kirche, die schon im Berghang stand, war eine kleine Brachfläche. Der Boden war irgendwie nicht geeignet zum Gemüseanbau, und außer ein paar Büschen und Sträuchern war auf den ersten Blick nichts besonderes an dieser Stelle.
Die Zikaden und Grillen machten ihre Geräusche, ein paar dürre Ziegen striffen umher.
Auf ihrem Weg, der eigentlich nur ein ausgetretener Maultierpfad war, und sie eigentlich zu der Hütte oben bei den Latschenkiefern führen sollte, blieben Weitwinkel und von Wiezethal stehen.
„Wuff!“ bemerkte Herr von Wiezethal, der zu müde war, um hinter den Ziegen her zu springen. „Sehen Sie mal, lieber Herr Weitwinkel… alte Mauerreste und Ruinen!“
Weitwinkel betrachtete sich die Stelle genau.
„Das scheinen mir Reste einer phönizischen Ölmühle zu sein… mindestens 500 Jahre älter als Karthago, und ein Jahrtausend älter als die Stadt Rom…Wohlan! Hier werden wir unsere Distillerie bauen!“ rief Weitwinkel.
„Wuff!“ antwortete wiederum der große Berner Sennenhund, ob der Wärme schon etwas hechelnd. „Und hier hin wollen Sie die Schienen legen lassen?“ fragte er.
„Ja. Dann brauchen sie die Ölfässer nicht durch den Ort bis in den Hafen zu rollen, sondern können sie mit der Bahn hinunter fahren!“
Die beiden setzten ihren Weg zur Hütte bei den Latschenkiefern am Gipfel des erloschenen Vulkans fort. Und sie genossen beide den Duft der Insel, der von Frutti di Mare zu Orangenblüten wechselte, und später in Latschenkieferduft wechseln würde.
„Sehen Sie, lieber Herr von Wiezethal…über all die Libellen, Bienen, Hummeln und Schmetterlinge…es ist schön warm, ein leichter Wind weht…der Ausblick über das Meer…“
Aljoscha von Wiezethal drehte sich um, und sah weit unter sich im Hafen die „Senkholzschraube“ liegen, wo die Besatzung schon damit begonnen hatte, Kupferkessel und Holzbalken auf die kleine Dampfbahn zu verladen, um diese Einzelteile zum Bauplatz der Öldistillerie zu transportieren.
„Es gibt hier alle Bäume, die wir brauchen: Bäume mit Früchten, die wir essen können, um gesund zu bleiben, und deren Öle gut riechen, und weiter oben Bäume, deren Öle auch gut riechen, unser Fell geschmeidig machen – und die Haut der Menschen. UND: die kleinen Kiefern in mitten der kleinen Schneematten sind selbst in diesen mediterranen Gefilden eine kleine Erinnerung an weihnachtliche Nadelgehölze. Sogar eine kleine Dampfbahn haben hierhin gebracht…hach…“
„Jaaajaaaa“ hechelte Herr von Wiezethal „was gäbe ich um einen Knochen!“
„Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Das Schiff, daß jedes Wochenende kommt, um das Öl abzuholen, wir ihnen auch jedesmal einen großen Knochen mitbringen, und einen Vorrat an Leberwurstpralinen! Solange Sie mir nur gut auf die Orangen-, Zitronen- und Kiefernhaine aufpassen!“
„Wuff! Das werde ich tun!“

Die beiden erreichten die verfallene Hütte der drei deutschen Fallschirmjäger aus dem zweiten Weltkrieg. Einen grandiosen Blick hatte man von hier. Während sich von Wiezethal in den Schatten einer verwucherten Latschenkiefer legte, erblickte Weitwinkel sogar Katkteen auf dem auf einer dem Dorf abgewandten Bergflanke.
„Sie können hier in Zukunft Erkundungsgänge machen, und herausfinden, ob es hier auch noch andere nutzbare Pflanzen gibt!“ meinte er.
Der große Berner Sennenhund blieb ungerührt unter seinem Baum im Schatten liegen. „Und das alles für ihre „Lazitröl AG“? Was bedeutet das eigentlich?“
„Latschenkiefer und Zitrusfrucht Ölgesellschaft…und ja: das alles, damit ich mehr mit Zitronen handeln kann, und auch Apfelsinen nebenbei… und Bergamotten und Pomeranzen für Aromastoffe. Und die Latschienkiefern aus dem gleichen Grund. Viele Menschenfrauen pflegen sich mit sowas. Und ausgerechnet diejenigen Frauen, an denen unser Chef so einen Gefallen gefunden hat, sind diejenigen, die Bilder von diversen Hautpartien auf twitter posten…. Ach ich weiß es ja auch nicht, was es alles damit auf sich hat…“ seufzte Weitwinkel… „Und wenn wir solche Pflegestoffe selber herstellen, gewinnen wir dadurch Geld. Wir machen das hier ja nicht nur der Früchte wegen oder des Geruchstoffes an sich, sondern wegen der Eudaimonia, dem emotionalen Gleichgewicht der ganzen Welt. Unser armer Chef kann ja nicht immer HartzIV Empfänger bleiben… Mümpf!…Nämlich!“
Auch Herr von Wiezethal konnte nur ein „Wuff“ mit seufzerlichem Unterton von sich geben.

„Und daher die Lazitröl AG. Und wenn ich herausfinden kann, welche Rohstoffe unser Chef sonst noch braucht, damit wir alle mehr Geld haben, Glauben Sie mir, mein lieber Herr von Wiezethal, dann werde ich sämtliche Inseln dafür in Besitz nehmen, die es gibt! So!“

Und so saßen die beiden dann noch eine Weile in der wärmenden Sonne, aber umgeben von kühlem Gestein in mitten von Latschenkiefern mit sehr, sehr kleinen Schneeresten. Und sie blickten auf die kleine vulkanische Insel herab, auf die Gemüsegärten, auf die Häuser, auf die Orangenhaine und die die Zitronenbäume. Und es war ein schöner Anblick.

In den folgenden Tagen richteten die Hasen/Kaninchen, Igel, Bärchen, Erdmännchen und Murmeltiere mit den Matrosenmützen die verfallene Hütte wieder her, so daß sie zu Recht als „Gouverneurspalast“ für den großen Berner Sennenhund Aljoscha von Wiezethal gelten konnte.
Und die Eisenbahn nahm ihren Betrieb auf: Jeden Tag fuhr ein kleiner Zug von der kleinen Distillerie die 450 Meter lange Strecke bis auf die Hafenmole, um dort die Fässer mit den wohlriechenden Ölen und Essenzen abzuladen, ebenso wie die Kisten mit den Zitrusfrüchten.
(es wurde sogar auf dem Marktplatz eine Haltestelle eingerichtet, die die Inselbewohner als Straßenbahnhalt hätten nutzen können – sehr zu von Wiezethals und Weitwinkels Verwunderung taten sie das nicht, sondern gingen den Schritt lieber zu Fuß).
Herr von Wiezethal aß seine Leberpasteten und einmal in der Woche einen großen Knochen, den das regelmäßig erscheinende Schiff mitbrachte. Es war nicht immer die „Senkholzschraube“, mal war es ein Segelschiff, mal ein U-Boot und ein anderes mal ein Dreadnought-Panzerschiff.
Die Inselbewohner hatten sich in ihr Schicksal eingefunden, und lebten weiter wie bisher. Ein paar von ihnen halfen tatsächlich bei der Frucht- resp. der Latschenkieferernte.
Weitwinkel ließ sich stets auf dem laufenden halten, wie sich die Ernte und Ölgewinnung auf der Insel so entwickelte. Er hoffte inständig, mit der Produktion von Pflegeölen seinem Chef einen großen Dienst erwiesen zu haben, und daß dieser sich auch weiterhin an „hübschen nackten Frauenbeinen im Schaumbett und Füßen mit Kettchen drum und lackierten Nägeln“ erfreuen konnte.
(Was immer das bedeuten mochte).

Und wenn Sie das nächste mal in ihrem Badezimmer, Massagestudio, Swingerclub oder Sado-Maso-Keller zum Pflegeöl greifen, dann gucken Sie mal genau aufs Etikett, vielleicht steht da ja doch: „Lazitröl“ 😉