„Der Untergang der Manga Mushihara – Teil 1“

– ein Seestück –

Hinweis: ich wollte immer mal einen total kitschigen U-Boot-Roman schreiben. Oder zumindest eine Homage daran.
Nun denn: Dies ist zwar eine Fortsetzung der vorigen Geschichte, aber es geht erst mal gaaanz anders weiter, ohne die bekannten Figuren, und ohne BDSM. Diese Fortsetzung ist eher was für die, die „das Boot“ gemocht haben. Oder billige U-Boot-Romane.

Zur Erinnerung: Weitwinkel und Chamaelita hatten das güldene Buch des BDSM in der Dorfkneipe versteckt, Kerstin brachte Ophelia in Sicherheit – und ich, ich war entführt worden…

Der indische Ozean lag ruhig unter tropischer Sonne.
Wie ein heißer Spiegel.
Es roch nach Diesel. Nach Salzwasser. Und nach Männerschweiß.
Eine 90m lange Blechdose, nahezu spindelförmig, hielt mit 14 Knoten fest ihren Kurs Süd-Süd-West.
Kein Windhauch, kein Wellengang, der die Fahrt von U-4711 hätte beeinträchtigen können. Auf dem Turm, der von weitem an eine aufgeschnittene Konservendose erinnerte, standen 6 Mann mit Ferngläsern. Vier von ihnen beobachteten gelangweilt aber pflichtbewußt den Horizont und den Himmel – für jede Himmelsrichtung einer.
Die beiden anderen, der Kommandant, Kapitänleutnant zur See Michael Mellerbeck und sein 1. Offizier, standen nebeneinander an der Turmbrüstung und schauten in Fahrtrichtung auf den Bug, der geometrisch exakt V-förmige Wellen in das unendliche Weit des Ozeans zeichnete.
„Wissen Sie, I-WO, ich freu mich schon auf meinen Urlaub. Mit meiner Frau und den Kindern zusammen in die Berge. Drei Wochen. Wandern, skilaufen… auf einer Almhütte, nur für uns allein.“
Der erste Wachoffizier, Oberleutnant zur See Markus Hansen, lächelte höflich. Mit seinen 26 Jahren hatte er noch kein Verständnis für Familienplanung – oder gar Familienurlaub mit Ehefrau und Kindern. Ihn ärgerte vielmehr, das er am Vorabend des ersten Einsatztages zwar eine Hafennutte „klar gemacht“ hatte, aber dann zu betrunken war, um die zweite zu einem Dreier zu überreden – und infolgedessen ungevögelt eingeschlafen war.
Noch während er sich eine höfliche Antwort überlegte, wurde er von der Bürde seinem Kommandanten antworten zu müssen, enthoben. Aus dem offen stehenden Turmluk klang hohl eine Stimme: „Drei Mann auf Brücke?“
Der Kommandant sah sich kurz nach allen Richtungen um, und gab mit einem kurzen „Jawohl!“ die Erlaubnis. Sogleich kamen nacheinander der Obersteuermann, ein Steuermannsmaat und ein Fähnrich zur See aus dem Turm geklettert. Im ersten Moment kniffen sie die Augen zusammen, um sich an die Helligkeit der tropischen Sonne zu gewöhnen, von der man unter Deck in der dunklen Blechröhre nichts mitbekam.
„So meine Herren – dann wolln wir mal die Sonne schießen. Steuermannsmaat, Sie singen die Zeit an!“
Der Steuermannsmaat starrte auf die Sekundenzeiger des kleinen Schiffschronometers, den er in der Hand hielt: „11 Uhr 59 und 48 Sekunden… 50 Sekunden… 54 Sekunden… Punkt zwölf, Herr Obersteuermann!“
Der Obersteuermann ließ sich vom Fähnrich den Sextanten reichen, und visierte die Sonne an. Dieser notierte sich, was der Obersteuermann vom Sextanten und Kompaß ablas.
„8 Grad 35 Minuten 47 Sekunden Süd, 95 Grad 15 Minuten 13.5 Sekunden Ost!“ sagte er nach etwas Rechnerei. „Und jetzt runter mit euch! Der Herr Fähnrich zur See darf jetzt mal probieren, ob er unsere Position auch auf die Karte übertragen bekommt! Denn ein Navigationsbesteck dient dazu, zu ermitteln, wo man gerade is(s)t!“

Mit diesen Worten scheuchte der Obersteuermann seine beiden Gehilfen wieder durch das Turmluk unter Deck.
Kapitänleutnant Mellerbeck und sein I-WO hatten der Positionsbestimmung zugeschaut. Hansen erinnerte sich noch lebhaft an seine eigene Ausbildung. „Warum peilen wir hier draußen nicht einfach die internationalen Funkfeuer an, Herr Kaleu?“
„Zur Übung, I-WO, zur Übung. Wer ein richtiger Seemann werden will, der muß auch mit Kompaß, Uhr und Sextant umgehen können. Sie können es ja schließlich auch…!“
„Ja natürlich, Herr Kaleu!“ jetzt kam dem I-WO seine eigene Frage idiotisch vor, und beschloß, es bei der knappen Antwort zu belassen. Seine größte Angst war, der Kommandant könne ihn für unfähig halten.
Mellerbeck hingegen dachte sich seinen Teil. Er blinzelte in die Sonne, und meinte: „Wenn eh Mittag ist, dann können wir auch gleich mal in Ruhe unser Essen einnehmen, nicht wahr?“ Lieber lenkte er das Gespräch auf den Wachwechsel, anstatt Hansen vor der Mannschaft vorzuführen.
Er brauchte nichts weiter sagen, denn die Seeleute der 3. Seewache (12-18Uhr) enterten schon durch das Turmluk auf die Brücke, um die bisherige Brückenwache abzulösen. Zum Schluß erschien der 2. Offizier, ein schlaksiger junger Leutnant von 22 Jahren, und salutierte vor dem Kommandanten.
„Melde mich mit Brückenwache angetreten, Herr Kaleu!“
Mellerbeck nickte nur mit dem Kopf. „Kurs weiterhin 210 Grad süd-süd-west, bei 14 Knoten. Ich wünsche angenehme 6 Stunden, Herr Leutnant!…. Kommen Sie, I-WO, ich hab Hunger!“
Mellerbeck kletterte mit der 2. Seewache und seinem ersten Offizier durch das Turmluk zurück in die stickige Enge der Blechröhre.
Dort gellten schon die Kommandos „backen und banken!“ – das wichtigste Tagesereignis, und zugegebenermaßen auch das einzige, für die jeweilige Freiwache stand an: das Essen.
In der O-Messe wurden Sitzbänke und der Tisch umgeklappt, ebenso im Bugtorpedoraum. „Essen fassen!“ Es gab Kartoffeln und Außenbordskameraden. (Niemand wäre auch nur im Traum eingefallen, „Hering“ zu sagen.)

In der O-Messe saßen der Kommandant, der I-WO, der LI und der Obersteuermann auf der Back beisammen. Sie ließen eine Flasche öligen Kujambelwassers (einer Art Orangenlimonade) rundgehen, die aber eher nach Dieselkraftstoff als nach etwas anderem schmeckte.
„Wo bleibt denn Leutnant von Mackensen?“ wollte der LI wissen. „Ist doch sonst immer bei der schnellen Truppe?!“
„Hier bin ich, meine Herren!“ Durch das Schott stieg der „Fremdkörper“, den sie auf diesem Törn mit an Bord hatten: Eine junge Frau, Ende zwanzig. In ihrer steingrauen ZA-Uniform fiel sie ohnehin schon farblich auf.
Aber eine Frau an Bord – Mellerbeck hatte vor dem auslaufen auf das heftigste zu protestieren versucht, aber erfolglos. Dabei trieb ihn weniger der alte seemännische Aberglaube um, Frauen an Bord eines Schiffes brächten Unglück. Eher die nackte Tatsache, eine einzige Frau mit 48 Männern auf einem Boot zu haben. Das mußte wohl oder übel irgendwann Streit geben. Da half es auch nichts, daß Fräulein Angelina von Mackensen Leutnant z.b.V. des ZA war – und am Kragenspiegel deutlich ablesbar „Kampflesbe“. Eine Frau blieb eine Frau.
„Ahh…Fräulein von Mackensen, setzen Sie sich. Wir hatten Sie schon vermißt!“ Mellerbeck machte aus seinem Unmut keinen Hehl, und zerdrückte ohne sie anzusehen mit der Gabel eine Kartoffel.
„Sollte ich auf so beengtem Raum wie Ihrem Boot verloren gehen, Herr Kaleu, dann bin ich mir absolut sicher, daß Sie mich bald wiederfinden würden!“ konterte sie spitz. „Weit kommt man hier ja nicht.“
Sie spürte zwar das Unbehagen und der Mißmut, der ihr seitens des Kommandanten entgegenschlug, aber sie überspielte das ebenso mit einer äußerlichen Gelassenheit, wie die Blicke der Seeleute, die ihr hintersahen.
„Eine so hübsche Frau wie Sie, Fräulein Leutnant, kann auf unserem Boot gar nicht verloren gehen! Und wenn Sie über Bord gehen sollten, werde ich persönlich hinter ihnen her springen!“ versuchte der I-WO das Gespräch zu retten – und scheiterte kläglich, denn der LI feixte: „Ich wußte gar nicht, daß Sie auch Rettungsschwimmer sind, Herr Oberleutnant?!“
Hansen bekam einen roten Kopf, und war sprachlos.
„Dann wären wir nicht nur das Fräulein Leutnant los, sondern auch unseren I-WO!“ brummte Mellerbeck. Das saß.

„Meine Herren, wenn ich sie als Prachtexemplare der Gattung „Mann“ so reden höre, dann ist lesbisch zu sein eine wahre Gnade Gottes.“ sprach Angelina betont höflich – und bewirkte damit zusätzliche Eiseskälte.
Mellerbeck atmete einmal tief ein und aus. Nicht nur das nachstellen hinter einer Frau war auf einem U-Boot gefährlich, sondern auch sich anbahnender Zwist unter den Offizieren.
Sie brauchten endlich einen Erfolg auf ihrer Mission. Das war das beste Mittel gegen schlechte Stimmung an Bord. Mellerbeck wußte das ganz genau – nur: er konnte keinen Erfolg „backen“.
„Fräulein von Mackensen – bei allem gebührendem Respekt, aber der Grund für ihre Präsenz auf meinem Boot erschließt sich mir immer noch nicht ganz…“
„Sie kennen doch meinen Auftrag, Herr Kapitänleutnant?!“
„Ja natürlich. Sie sollen unsere Mission „beobachten“. Wobei ich mich frage, ob man an höherer Stelle etwa mir und meinen Eintragungen ins Kriegstagebuch nicht traut.“
„Natürlich traut man Ihnen, Herr Kapitänleutnant. Meine Dienststelle hat mich lediglich entsandt, die Mission als solche politisch zu bewerten. Über ihre Kunstfertigkeit, diese Mission durchzuführen, habe ich nicht den leisesten Zweifel. Ich soll lediglich die Reduktion des Fisch und Walfangs dokumentieren, Herr Kaleu!“
Mellerbeck brummte zynisch. „Reduktion von Fisch und Walfang. Sie sind gut. Der liberianischen Fischtrawler, den wir letzten Donnerstag unter Wasser getreten haben, ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein!“
„Aber steter Tropfen höhlt den solchen, Herr Kapitänleutnant!“
„Das mag ja vielleicht sein, Fräulein Leutnant. Aber auf dem Pott waren gut und gerne 150 Neger als Besatzung drauf. Die haben wir einfach so gehimmelt.
Im Mittelmeer versaufen jeden Tag genausoviel wenn nicht noch mehr Leute. Anstatt wir die aus dem Wasser ziehen, kajolen wir hier sie über den Haufen.“
Solch offene und kritische Worte konnte sich nur der Kommandant erlauben. Bei jedem anderen hätte es mindestens einen Tadel und einen Eintrag ins Logbuch gegeben. Aber an Bord eines Unterseebootes kommt der Kommandant direkt nach dem lieben Gott. Niemand in der Runde wagte es, zu widersprechen, oder gar zu atmen. Es war mucksmäuschenstill.
Angelina war aber nicht „in der Marine aufgewachsen“, sie nahm keine Rücksicht auf solche Traditionen. Mit einem gewissen Unterton der Überlegenheit entgegnete sie: „Ich kenne meinen Auftrag, Herr Kaleu, und ich hoffe, Sie kennen den Ihrigen! Seien Sie froh, daß man Ihnen nicht jemanden aus der snöffischen Verwaltung aufs Auge gedrückt hat.“
Jetzt wurde es Mellerbeck doch zu viel. Er legte sein Besteck beiseite. Und holte tief Luft. Nicht um zu schreien, sondern um sich weit nach vorne zu beugen, und Angelina von Mackensen tief in die Augen zu schauen. Mit ruhiger, fester aber geladener Stimme antwortete er ihr:
„Ich will Ihnen mal was sagen, Fräulein Schlauberger: Ich bin Marineoffizier. Ich erhalte Befehle, und führe sie aus. Und als U-Boot-Kommandant hat man eine höhere Verantwortung als in den meisten anderen Kommandopositionen im Militär. Ich weiß, was ich zu tun habe, und ich weiß, wie ich es zu tun habe. Ich brauche keinen lesbischen Politoffizier, der mir mit süffisantem Unterton nen Bonbon ans Revers klebt. Ich verbitte mir ausdrücklich, meine Führung in Frage zu stellen. Haben wir uns da verstanden, Fräulein Leutnant?“
Angelina verstand, das sie einen Schritt zu weit gegangen war. Sie senkte ihren Blick. „Ja natürlich, Herr Kapitänleutnant. Verzeihung.“

to be continued…

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