Das *andere* Land -Teil 1- „die Ankunft des Jens“

[Ich habe die bisher angefangenen Geswchichten nicht vergessen. Aber das hier hat sich vorgemogelt, und wollte unbdeingt raus.]

Warum eigentlich immer dieses Gegensatz? Warum eigentlich immer wieder diese kaninchenartigen Fabelwesen, die so unvermutet und unzusammenhängend am Rande des BDSM auftauchen?
Nun…es ist: das andere Land.
So wie ich Snöfland, das Lande der Hasen und Bärchen etc, beschrieben habe, so fehlt auf der anderen Seite noch was. Nämlich der weitaus größere Teil. Derjenige, der irgendwie von lauter ChefleGrands bevölkert wird, und eben nicht von Weitwinkeln.
Stellen wir uns einmal eine Schnittstelle vor, wo eben jene beiden „Welten“ zusammenfallen. Vielleicht wird das ganze dann einfacher verständlich.
Und klammern wir mal die großen prominenten Namen mal aus, den Chef, den Weitwinkel, die Frau Maier, die Frau Chamäleon, Frau Ophelia – alles mitunter unterhaltsam. Aber das Leben der „kleinen Leute“? Abseits der großen Handlungsstränge?

Fangen wir mit dem Einwanderer an. Jens, der Informatiker. Anfang 40. Geboren irgendwo in der DDR, erlebte die Wende als Jugendlicher, und lebte bis vor kurzem in Berlin. Mit seiner Lebensgefährtin, ihrem gemeinsamen 4 jährigen Sohn Johannes und der Stieftochter Laura, 14 Jahre alt, aus einer früheren Beziehung seiner Partnerin.
Jens ist sportlich, trägt eine Brille und einen kurzen Bart – fast an der Nähe zum Hipster, ernährt sich gesund, ist Atheist und hat einen Twitteraccount mit um die 5423 follower. Twittert mal was gegen Rassismus und AfD, mal was gegen die CDU und die katholische Kirche und mal was zum Spaß und mal was nachdenklich. Er und seine Familie sind es gewohnt, das man sich per Amazon alles liefern lassen kann, und man per stream sich jede x-beliebige Serie auf den Flachbildschirm im Wohnzimmer oder in der Küche holen kann. Bis hier hin ein ganz normaler User.
Aber da er auch ein gut bezahlter qualifizierter Informatiker ist, erhielt er von seinem Arbeitgeber (einem führenden deutschen Unternehmen in Sachen „Internet“) ein Angebot, für wenigstens ein Jahr ins Ausland zu gehen. Wahlweise mit seiner Familie.
Sein Auftrag: Im betreffenden Land bei der Errichtung der Internet-Infrastruktur zu helfen.
Es gab da einen Staatsvertrag, der diese „Wirtschaftshilfe“ und Kooperation in die Wege leitete.

Und dann ging alles ganz schnell: Es hieß: wir ziehen um. In ein fremdes Land. Der einzige Trost für Jens, bzw. seine Familie: man spricht dort auch deutsch.
Der Umzug erfolgte in Etappen: erst Jens, und dann eine Woche später der Rest der Familie.
Aber wo wohnen? Jens hatte eine Woche Zeit, ein adäquates Heim für sich und seine Familie zu finden.
Arbeiten sollte er in der Hauptstadt, bei dem Kooperationspartner seines Arbeitsgebers. „EDÜB“ Elektronische Datenübermittlungsbehörde.
So begab es sich, als Jens mit seinem Koffer im Flughafen stand, aufgekratzt und jetlag-geschädigt, und versuchte, die Eindrücke die auf ihn einprasselten, zu verarbeiten.
Das war also ein „Flughafen“. Er fand eher, das die große Halle, in der er stand, wie eine große Wartehalle eines Bahnhofs wirkte. Die Mauern waren aus Stein, die Fenster wirkten wie Kirchenfenster. Die Anzeigentafel für die ankommenden und abfliegenden Flüge war kein LCD-Bildschirm, sondern klackerte unentwegt sehr mechanisch. Es gab Zeitungskioske, einen Blumenladen und Schalter, an denen Reisende anstanden. Soweit alles irgendwie vertraut. Was Jens aber als aller erstes feststellte: Die Kleidung! Die Männer trugen alle Anzug, die Frauen alle Schuhe mit Absätzen, Röcke und Blusen. Sehr verwundert beobachtete er ein humanoides Capybara, das mit einem Gehrock(!) bekleidet war, am Zeitungskiosk eine Zeitung kaufte.
Was ihm noch sofort auffiel, weil es ihm direkt in die Nase kroch: Offenbar rauchte hier fast jeder. Die Männer Zigaretten oder Zigarren, und die Frauen, besonders die, die wie Filmstars der 40er Jahre aussahen, Zigarillos mit Mundstück.
Nicht, das es dreckig hier gewesen wäre, es lagen keine Kippen auf dem Boden der Empfangshalle, überall standen Aschenbecher.
Jens war verwirrt. In seiner Verwirrung wurde er wieder ins hier und jetzt zurückgeholt, als er im Gedränge angerempelt wurde. Irgendetwas ging zu Boden, und instinktiv bückte sich Jens, um eine Aktentasche wieder aufzuheben, um sie ihrem Besitzer wiederzugeben. Als er die Tasche nahm, blickte er zu Boden, und blickte langsam zu der Person von unten nach oben auf:
Das waren glänzend schwarze Overknee-Stiefel mit Pfennigabsätzen, ein kurzer dunkler Minirock – im Spalt dazwischen konnte man den hauch von Netzstrümpfen erahnen. Das war ohne jeden Zweifel der höchst attraktive Unterleib einer Prostituierten oder Pornodarstellerin. Der dezente Hauch des Parfüms „Bordsteinschwalbe N° 147“ schien das zu bestätigen.
Aber als Jens weiter an diesem Frauenkörper entlang nach oben blickte, sah er einen feldgrauen Uniformrock mit geschlossenem Stehkragen, an dem einige Ordensspangen, ein eisernes Kreuz und ein vergoldetes Venuszeichen hingen.
Das letzte mal, das er so etwas in natura gesehen hatte (bis auf das EK, versteht sich), war bei der Militärparade zum 40. Geburtstag der DDR. Sofort mußte er an die NVA denken – und an noch weiter zurückliegende Militärepochen.
Jens schluckte.
Denn oberhalb des Stehkragens befand sich das äußerst hübsche Gesicht einer jungen rothaarigen Frau, deren geflochtener Zopf wie ein Fremdkörper auf dem linken Schulterstück der Uniform zu liegen schien.
Unbewußt hatte sich Jens wieder erhoben und die Aktentasche der jungen uniformierten Frau zurückgeben, die sich mit „Danke, mein Herr!“ bedankte und darauf wieder verschwand.
Gerade in dem Moment, als Jens so bei sich dachte: „Ach du scheiße, ich bin in einem reaktionären, faschistoiden Land gelandet, einem billigen Abziehbild der 40er Jahre“ machte er eine weitere Beobachtung, die so gar nicht zu einem überholt alt-moralischem Gesellschaftsgefüge passen wollte:
Da schritten zwei Frauen durch die Halle. Die eine, ein Bleistiftrock-Kostüm tragend stöckelte eiligen Schrittes voran, und hatte die andere Frau buchstäblich im Schlepptau. Denn diese trug um ihren Hals ein schwarzes Halsband, und wurde von der vorderen Frau an einer Leine hinter sich her gezogen. Aber nicht nur das, die angeleinte ging nicht nur barfuß – sie hatte auch den Kopf gänzlich kahl geschoren!
Und dennoch machte sie nicht den Eindruck einer Gefangenen.
Jens hörte im Gewirr dieser Halle nur Bruchstücke, was die beiden Frauen sprachen.
„Komm schon, du Mistvieh, ich hab Hunger. Wir wollen etwas essen gehen.“
„Ja, Herrin.“
„Und beweg dich gefälligst etwas schneller, sonst bekommst du heute Abend keine Schläge!“ mit diesen Worten drehte sich die Dame zu ihrer Begleitung, und verpaßte der angeleinten eine schallende Ohrfeige.
Jens war entsetzt. Er wollte zu den beiden Frauen hineilen, die Dame zur Rede stellen, die Polizei rufen – irgendwas. Aber er sah von der Idee ab, denn er bemerkte, das sich niemand in der großen Halle daran zu stören schien, was gerade vorgefallen war. Niemand drehte sich um. Kein Polizist kam angelaufen, als die soeben geschlagene mit schmerzverzerrtem Gesicht ein „Danke, Herrin“ aussprach und die beiden Damen wieder aus Jens´ Sichtfeld verschwanden. Er stand mit offenem Mund da und wunderte sich.

Endlich nun blieb er nicht länger sich selbst überlassen, denn es sprach ihn jemand an.
„Entschuldigung, mein Herr, sind Sie Jens Bauer? Aus Deutschland?“
Jens drehte sich um. Ein großer blonder Mann in einem kackbraun-grau-karierten Anzug stand vor ihm, einen sandfarbenen Trenchcoat über den linken Arm geworfen.
„Äh..ja, der bin ich.“
Der große Blonde lüftete mit seiner rechten kurz den Hut, und stellte sich als „Linde, Dr. Ludwig Linde“ vor.
Wie sich herausstellte war es sein „Kontaktmann“ von der „EDÜB“, der ihn in Empfang und unter die Fittiche nehmen sollte.
„Sie werden sicherlich Hunger haben, Herr Bauer – kommen Sie, ich lade Sie zum essen ein. Dann können wir in einem schonmal besprechen, wo Sie sich einqaurtieren werden.“
Linde deutete auf ein Restaurant, das auf einer Empore an einer Wand der großen Halle über dem Blumenladen und dem Zeitungskiosk war.
Jens wußte nicht genau warum und wieso, aber ihm war dieser „Dr. Linde“ irgendwie unsympathisch. Er wirkte auf ihn wie eine lange schmale Humphrey-Bogart Immitation – allerdings mit einem blonden Scheitel, der mit einem Stahllineal gezogen zu sein schien. Seine Anzugshose schien dertig scharfkantig gebügelt zu sein, das man mit der Bügelfalte alles mögliche hätte schneiden können. Und dann diese lange schmale schwarze Krawatte – sowas hatte man in den Fünfzigern getragen.

Sie hatten kaum auf der Empore des Restaurants des Platz genommen, als sich an den Nebentisch Jens wunderliches Ereignis von vorhin setzte: Die beiden Frauen.
Das heißt, nur die Dame setzte sich an den Tisch. Ihre Begleitung kniete sich wie ein Hund zu ihren Füßen.
Eine Kellnerin kam, und nahm die Bestellung auf. Jens war wie gebannt: Die Kellnerin trug ein kleines schwarzes mit weißer Spitzenschürze. Aber mehr noch interessanter war, wie die Dame ihre Bestellung aufgab: „Für mich bitte einmal das ostpreußische Reisgericht und ein Wodka pur. Und für das Fickschnitzel hier unten eine Schale mit Wasser.“
Die Bedienung nahm die Bestellung auf, als ob es das selbstverständlichste auf der ganzen Welt wäre, das eine Person in einem Speiselokal sich unter einen Tisch hockte, und eine Schale mit Wasser vorgestellt bekam.

„Herr Linde…“
„Doktor Linde“ hüstelte Linde etwas irritiert.
„Sorry…Herr Doktor Linde…darf ich Sie etwas fragen?“
„Ja natürlich. Nur zu.“
„Was ist ein ostpreußisches Reisgericht, und …haben Sie hier zur Zeit eine Fetischveranstaltung oder Karneval?“
Linde schaute irritiert, denn die Dame mit ihrer angeleinten Begleitung saß in seinem Rücken.
„Also… das Reisgericht besteht im wesentlichen aus Graupen, Lauch und Hackfleisch. Eine Art Risotto. Wir können uns das gerne bestellen, wenn Sie mögen. [Rezept gibt es HIER , Anm.d.Verf.]
Aber über besondere Veranstaltungen ist mir nichts bekannt, bedauere. Karneval ist ja schließlich erst im Februar. Wie kommen Sie darauf?“
Geistesabwesend antwortete Jens „ach…nichts…ich hatte so den Eindruck…“
Jens besah sich die anderen Menschen an den Tischen, und unten in der großen Halle. Wie sie mit ihren sehr schicken aber auf ihn altertümlichen Kleidern hin und her liefen, standen, saßen, Zeitung lasen, auf ankommende Fluggäste warteten. Gepäckträger in Uniform trabten hinter Reisenden her. Polizisten, die in ihrer Uniform und mit ihren Stiefeln ihn wieder stark an die Weimarer Republik erinnerten (besonders auffällig waren die Tschakos) gingen umher. Seltsames Land oder nicht – aber bewaffnete Sicherheitskräfte gehörten offenbar auch hier zum üblichen Alltag. Immerhin war dies der große internationale Flughafen, das Aushängeschild dieses Landes.
Jens war etwas flau.
„Entschuldigen Sie mich, Herr Doktor Linde. Ich müßte mal gerade wo hin. Wenn die Bedienung kommt, dann nehme ich dieses ostpreußische Reisgericht und… den stärksten Schnaps, den Sie in Ihrem Land hier haben!“
Er verschwand in Richtung Toilette. Nicht unbedingt, weil er pinkeln mußte, sondern weil er die Stille einer Urinalpause brauchte, um der Reizüberflutung Herr zu werden. Tja….Piefendeckel. Als er so wasserlassend an der Rinne stand, hörte er auf einmal aus einer der Kabinen Geräusche. Ein rascheln, ein gegen die trennwand rummsen. Ziemlich eindeutig.
Eine Frauenstimme zischte leise „pssst….nicht so laut!“ Erschreckt sah Jens kurz auf seinen Penis und das Urinal. Ok- er hatte sich nicht in der Tür geirrt. Er war definitiv auf dem Männerklo.
Eine Männerstimme brummte etwas ziemlich leise aus der Kabine.
„Ich weiß nichtmal wie du heißt, ich will einfach nur daß du mir jetzt den Arsch fickst!“ zischte die Frauenstimme wieder.

„Oh Gott, laß es es aufhören!“ dachte Jens bei sich, aber der Druck des Strahls ließ noch nicht nach. So mußte er mitanhören, wie die Frauenstimme aus der Toilette fiepte „au…au…sei vorsichtig“ und kurz danach die Männerstimme erwiederte: „Ach wat. Gleitmittel werden überbewertet!“
Danach begann ein gleichmäßig schnelles kräftigeres wummern gegen die Toilettenkabinenwand, das alle 2-3mal von einem „au“ der Frauenstimme untermalt wurde.
Gerade, als die Männerstimme den Satz sprach: „Ich weiß auch deinen Namen nicht, aber ich sag dir, wir brauchen kein Gleitmittel. Das kommt von ganz alleine…du hast da unten schon nen schönen braunen Ring um die Rosette. Ich pump dir die Scheiße aus dem Arsch, du Fickvieh!“ und die Frau antwortete „Halts Maul und fick mich weiter, oder ich renn sofort weg! Na los, fick mich!“
– in diesem Augenblick war Jens endlich fertig, schüttelte einmal kurz und rannte zum Waschbecken. Schnell kaltes Wasser. Viel kaltes Wasser! Ins Gesicht.
Er stürmte quasi aus der Toilette hinaus in das Restaurant. Diese komisch bunte Szenerie da draußen. Zu Doktor Linde in seinem kackbraun-grau karierten Anzug.
Das Essen stand schon auf dem Tisch, ebenso ein Schnapsglas.
Noch ehe er sich hinsetzte nahm Jens das Glas, und stürzte seinen Inhalt in einem Zug hinunter.
„Mein lieber Herr Bauer? Was ist denn mit Ihnen passiert? Sie sehen ja ganz blaß aus?!“ Linde wunderte sich.
„Ach…es ist nichts…nur der Flug…der jetlag…Sie verstehen.“
„Ja natürlich.“ Linde runzelte süffisant die Stirn. Dieser Jens Bauer aus Berlin war ein merkwürdiger Exot.
„Das war übrigens ein „Senatorenbitter“, den Sie da gerade hinuntergespült haben…“
„Noch einen…!“ seufzte Jens, als er sich setzte… „Aber erst nach dem Essen…ich hab Hunger!“

Sie begannen nun, das Graupen/Hackfleisch/Lauch-Arrangement zu verspeisen. Etwa, als er die Mitte des Tellers leer hatte, sah Jens, wie sich die Tür zu den Toiletten öffnete. Er hatte sie keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Er verspürte zwar Neugier aber in der Form von Ekel und Abscheu, zu erfahren, wen er da eben unfreiwillig belauscht hatte.
Eine Frau trat aus der Tür. Sie trug offensichtlich eine Stewardessen-Uniform. Ende zwanzig, sehr schlank, dunkles kurzes Haar, aber ihr Erscheinungsbild war perfekt. Die Kleidung picobello. Nur die leicht gerötete Gesichtsfarbe hätte vermuten lassen, was gerade passiert war. Eiligen Schrittes verschwand die Stewardess. Einen Augenblick später trat ein Mann aus der Tür. Mitte dreißig, kantiges Kinn, kurze Haare, leichter Bauchansatz. Er strebte direkt an den Tresen im hinteren Teil des Restaurants. Mit einem Satz sprang er auf den Barhocker, zündete sich eine West-red an, und bestellte einen Rhagava und ein Kölsch.
„Aha“.dachte sich Jens, und wandte sich wieder angewidert seinem Essen und seinem Tischnachbarn zu.
„Wo kann ich hier wohnen? Und meine Familie für wenigstens ein bis drei Jahre?“ In diesem Moment bereute Jens nicht nur seine Worte, sondern überhaupt die Idee, mit seiner Familie hier hin ziehen zu wollen. das war Wahnsinn. Wenn dieses Land so war, wie die Leute hier auf diesem Flughafen – na dann gute Nacht.
„Nun…ich habe da eine Idee…“ hob Linde an. „Ein entfernter Verwandter von mir ist vor kurzem verstorben. Sein haus steht nun leer. Wir können es uns gerne ansehen.“

Als sie im Begriff waren aufzustehen, bemerkte Jens, wie die angeleinte Frau am Nebentisch tatsächlich unter dem Tisch hockte, und auf allen Vieren Wasser aus einer Schüssel schlabberte, wie dies gewöhnlich nur Hunde tun. Er schloß kurz die Augen, und hoffte, das sei nur eine Einbildung. War es aber nicht.
Die Dame über ihr saß derweil vor ihrem leeren Teller, und nestelte an ihrer Handtasche herum. Fassungslos beobachtete Jens, wie diese feine Dame einen Spiegel herausholte, und ihn vor sich auf den Tisch legte. Dann nahm sie ein kleines, druchsichtiges Beutelchen, aus dem sie ein weißes Pulver vorsichtig auf dem Spiegel dosierte.
„Die wird doch nicht ernsthaft…also hier in der Öffentlichkeit…?“ dachte Jens
Doch. Tat sie. Die Dame hackte mit dem Messer, mit dem sie eben noch das „ostpreußische Reisgericht“ gegessen hatte, das weiße Pulver klein, ordnete es zu zwei Linien – und schnupfte mit einem zusammengerollten 50-Markschein die größere der beiden Linien durch ihr linkes Nasenloch.
Dann klopfte sie ihrer kahlgeschorenen angeleinten Begleitung auf den nackten Schädel.
„Hier, Schlampe, für dich!“ und reichte ihr den Spiegel und das Schnupfröllchen. Die knieende, aus der Schüssel wasserschlabbernde nahm den Spiegel und das Röllchen und schnupfte ebenso wie Herrin die verbleibende Linie des weißen Pulver durch die Nase. „Danke, Herrin.“

„Frau Gräfin?!“ eine Männerstimme rief durch das Restaurant. Jens sah sich um. Ein Mann mit schwarzer Soutane und Priester-Barret stürmte auf die Dame zu. Der „Typ“ (wie Jens ihn gedanklich bezeichnete) erinnerte ihn an Don Camillo. Nur etwas fetter. Und die Dame am Tisch erhob sich ebenso plötzlich.
„Herr Dechant! Sie hier?“
Der Geistliche war an dem Tisch angekommen. Auch er schien keinen Anstoß daran zu nehmen, daß eine kahlgeschorene Frau mit Halsband an der Leine liegend unter dem Tisch lag. Er reichte der Dame die Hand. Diese erhob sich, machte einen leichten Knicks(!). „Herr Dechant…Mit Ihnen hätte ich hier am wenigsten gerechnet…?“
Da Jens im begriff war, mit Dr. Linde das Lokal zu verlassen, bekam er nicht weiter mit, was der „Dechant“ und die „Gräfin“ weiter miteinander zu besprechen hatte.
Auf der Treppe hinunter von der Empore in die große Halle, meinte Linde zu ihm:
„Wir fahren jetzt erstmal in die Hauptstadt, und werden Sie einqaurtieren. Der Bahnhof ist im Kellergeschoß des Lufthafens. Kommen Sie.“
(Auch das war Jens die ganze Zeit über aufgefallen: Überalls stand „Lufthafen“ anstatt „Flughafen“.)
„Warum sagen Sie dauernd Lufthafen? bei uns in Deutschland heißt das „Flughafen!?“
„Und in England heißt es „Airport“ -und was heißt „Airport“ auf deutsch übersetzt?“ zwinkerte Dr. Linde.
An einem Zeitungskiosk standen ein orthodoxer Pope, ein jüdischer Rabbi und ein weiterer katholischer Pastor zusammen. Die drei geweihten Männer hatten offenbar großen Spaß, denn Jens hörte im vorübergehen, wie der Rabbi zu seinen Amtskollegen sprach: „Kennt ihr den schon? Wieviele Atheisten braucht man, um eine Glühbirne zu we…“ – mehr hörte Jens nicht mehr. Nur als er hinter Linde die Rolltreppe hinunter zum Bahnhof betrat, hörte er ein schallendes Gelächter der drei Geistlichen.
„Arschlöcher!“ dachte Jens bei sich.

Jens war wie von Sinnen. Benebelt. Er hatte Angst – weniger um sich, aber die Idee, auf „gut Glück“ seine Familie in dieses komische Land nachzuholen erschien im nun als großer Fehler. Er schleppte seinen Rolltrolley hinter sich her. Dr. Linde hatte zwar nach einem Gepäcktrager bestanden – aber Jens bestand darauf, seinen Koffer selbst zu ziehen. Doktor Linde steckte dem Gepäckträger, der nun umsonst eilig herangealufen war, als Trost wenigstens ein paar Groschen zu.
So trottete Jens einfach nur hinter Linde her. Da war ein Zug, eine Wagentür…und endlich ein Abteil. Jens war unfaßbar müde.
„In anderthalb Stunden sind wir in der Hauptstadt, Herr Bauer!“
„Gut!“ brummte Jens vollkommen übermüdet.
„Und…wie ist Ihr erster Eindruck von unserem Land?“
Für einen Moment bemühte sich Jens, einen klaren Gedanken zu fassen. Er erinnerte sich daran, das er heute noch keinen einzigen tweet getwittert hatte.
Er sah Dr. Linde an, und fragte ihn:
„Sagt Ihnen der Begriff „wildes Gefuchtel“ etwas?“
„Nein, bedauere.“ gab Dr. Linde irritiert zurück.
„Ach nicht so wichtig. Ich werde versuchen, etwas zu schlafen.“
„Tun Sie das, Herr Bauer, tun Sie das!“

Und als der Zug mit einem Pfiff, mit einem Ruck durch alle Wagen, und einem tief seufzenden „Wuff“- „wuff“- und immer schneller werdenden „wuff-wuff-wuff…“ Fahrt aufnahm, und der Rauch der Lokomotive immer schneller am Abteilfenster vorüberzog, da war Jens Bauer, Informatiker aus Berlin, schon vor erschöpfung eingeschlafen.

to be continued…

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