Archäologie ist Drecksarbeit – Kapitel 2

Das folgende aus dem Englischen übersetzt, und nur an wenigen Stellen sinnwahrend (Regionalbezug GB/D) abgeändert. Original: by Tony Robinson and Professor Mick Aston.

Ich übersetze dies, um das Werk der beiden vorgenannten Autoren zu würdigen und es einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Die hier gemachten Beobachtungen und Beschreibungen lassen sich im Grundsatz auch auf den deutschen Kulturraum anwenden, allerdings nicht zu 100%. Um aber möglichst nahe am Originaltext zu bleiben, habe ich es unterlassen, Beispiele aus der britischen Geschichte durch solche aus der deutschen Geschichte zu ersetzen. Die Grundzüge der geschichtlichen Abläufe, der Behördlichkeiten sowie der praktischen archäologischen Grabungsarbeit sind in beiden Ländern vergleichbar.

Kapitel 2

[Das folgende schildert die Situation in Großbritannien.]

Wie begann nun die Archäologie?
Ab dem Zeitpunkt, da die erste Pyramide fertiggestellt war, gab es Leute, die versuchten einen Weg hinein zu graben. Sobald der Vulkan, der Pompeii verschüttet hatte, begann sich abzukühlen, gab es reichlich Volk das sich daran machte zu buddeln, um Beute zu machen.
Schatzsuche hat immer schon eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Archäologie gespielt, genauso wie Recycling. Steine-klau gibt es wahrscheinlich, seitdem das allererste von Menschenhand gebaute Gebäude in der Menschheitsgeschichte zusammengefallen ist.

In den Sommertagen des 12. Jahrhunderts mochten die Mönche von St. Albans auf ihren Kirchturm gestiegen sein – was sie sahen, waren Linien trockenen Grases in ihren Feldern, die die Fundamente der römischen Stadt Verulamium markierten, die immer noch unter der Oberfäche schlummerten.
Nun waren die Mönche allerdings nicht aus einem akademischen Interesse heraus auf ihren Kirchturm gestiegen. Sie suchten billiges Baumaterial mit niedrigen Transportkosten. Aber wer sagt schon, das, wenn sie nach frei verfügbaren Ziegeln und Steinen gruben, sie nicht ebenso fasziniert waren von dem, was sie denn da zutage förderten?


Dies war sicherlich der Fall in Much Wenlock in Shropshire. Im Jahre 1101 zerfiel die Kirche in ihre Einzelteile – als zwei Jungen durch ein Loch im Boden fielen und in diesem ein Skelett fanden. Die örtlichen Mönche wußten dank alter Dokumente, das ihre Kirchenpatronin, die heilige Milburga, irgendwo in der Nähe eines längst verschwundenen Altars begraben worden war. Um nun zu beweisen, daß dieses Skelett das der Milburga war, taten sie, was seitdem zahllose Archäologen immer wieder taten: Sie gruben in alle Richtungen.
Und dann, als sie den verschwundenen Altar gefunden hatten, reinigten sie ihren „Fund“ – das soeben zur heiligen Milburga erklärte Skelett – bevor sie es in einem brandneuen Schrein ausstellten. Auch dies ist kein Fall einer rein akademischen Untersuchung, aber was heißt das schon in der Archäologie?


Im Jahre 1191, hundert Meilen entfernt in Glastonbury, fand eine weitere Grabung statt. Die dortigen Mönche legten zwei Skelette frei. Ziemlich schnell waren sie sich sicher, daß es sich um die Überreste von König Arthur [Artus] und seiner zweiten Frau, Guinevere, handelte. Woher wußten sie das? Weil sie neben den Knochen ein Bleikreuz fanden, auf dem geschrieben stand: „Hier liegt der berühmte König Arthur mit Guinevere, seiner zweiten Frau.“ Was für ein Volltreffer!
Diese neuen Reliquien würden Pilger und Geld anziehen – zumal Abtei erst kürzlich bei einem Feuer abgebrannt war.
Auch bei Hofe war der König sehr erfreut, denn die Körper zweier international so berühmter Persönlichkeiten in seinem Besitz zu haben, verlieh auch ihm einiges an Glaubwürdigkeit. Mit einem Mal schien die Zukunft von Glastonbury Abbey eine rosige zu sein.
War dies ein Beispiel von göttlicher Fügung? Nein.
Die Inschrift wurde später als Fälschung entlarvt. Nichtsdestotrotz sicherten sich die Mönche von Glastonbury Abbey damit einen wohlverdienten Platz in den Geschichtsbüchern: nämlich den ersten bekannten Fall von Betrug in der Geschichte der Archäologie.

Aber waren die Menschen des Mittelalters an Ruinen nur als Quelle für Baumaterial und ggf. Prestige interessiert? Kam es ihnen nicht in den Sinn, das die antiken Monumente ihnen zahllose faszinierende Geschichten über ihre eigenen Vorfahren hätten erzählen können?
Sicherlich die meisten, sogar die ungebildeten und armen, hatten eine vage Vorstellung davon, das die Römer Britannien für gut vier Jahrhunderte besetzt und ein massives, zerbröckeltes Erbe zurückgelassen hatten.
Aber sonst schien kaum irgendeine Form von antiker Architektur als solche verstanden – oder gar als solche erkannt worden zu sein. Der große Historiker Beda, er schrieb im 8. Jahrhundert, unternahm den Versuch einer Chronik der Geschichte der Menschen in Britannien – Stonehenge erwähnte er mit keinem Wort.
Bis ins 16. Jahrhundert dachten die Menschen, die diese massiven Steine in der Salisbury Plain überhaupt kannten, es handele sich um ein afrikanisches Monument, das von Giganten über das Mittelmeer gehievt und dann in Irland abgesetzt worden war, um als Wandkonstruktion für ein enormes Badehaus zu dienen. Dann seien die Steine magischerweise von Merlin „entführt“ worden, der sie auf der Salisbury Plain als Denkmal für den Sieg König Arthurs über die Sachsen neu platzierte.
Es dauerte weitere 350 Jahre, bevor die Wissenschaftler anfingen genauer zu verstehen, wie alt Stonehenge überhaupt ist. Aber selbst heute wissen wir nicht wirklich, welchen Zweck die Anlage hatte. Vielleicht erscheinen die heutigen Theorien zukünftigen Generationen genauso unglaubwürdig wie das Seemansgarn über die „Waschgelegenheiten der Giganten“.


Wenn sie also so lange ignoriert wurden, wie begannen die Menschen sich Wissen über die antiken Monumente in Britannien anzueignen?
Die erste Person, von der wir wissen, das sie ausreichend an alten Ruinen interessiert war, um sie im Detail zu beschreiben, war ein Priester namens Gerald, der im späten 12. Jahrhundert lebte.
Er befand sich auf einer Rundreise mit seinem Bischof durch Wales, um die Bevölkerung für die Teilnahme an den Kreuzzügen zu gewinnen. Dabei fertigte er einen Reisebericht an, in dem er die Monumente beschrieb, die er sah. Er hatte ein wirklich gutes Auge für Architektur und notierte sich Dinge, die anderen Leuten entgehen: So beschrieb er beispielsweise die Ruinen des [röm., Anm. d. Ü.] Forts in Caerleon folgendermaßen:
Viele Spuren seiner ehemaligen Pracht sind immer noch zu sehen. Große Paläste, verziert mit goldenen Dächern, in Nachahmung römischer Größe. Man findet sie innerhalb wie außerhalb, zu beider Seiten des Mauerrings; unterirdische Bauten und Durchgänge, Wasserleitungen und – was ich wert finde zu bemerken – kunstfertig ausgeführte Öfen, die ohne erkennbaren Sinn, ihre Hitze durch schmale Röhren in den Wänden ableiten.
Mit anderen Worten: Gerald hatte eine römische Hypocausten-Heizung entdeckt!

Heutzutage ist es für uns nahezu unmöglich, sich eine Zeit vorzustellen, in der unsere Monumente weder beschrieben noch katalogartig erfaßt sind. Aber das erste Beispiel das wir von jemandem haben, der eine detaillierte Liste alter Ruinen aufzeichnet, geht ins Jahr 1478 zurück. William Worcester verbrachte sein Arbeitsleben als Sekretär von Sir John Fastolf (die Inspiration für Shakespeare, als er den lüsternen, betrunkenen Falstaff in „Henry IV“ entwarf).
Als er sich ins Privatleben zurückzog, seinen geizigen Arbeitsgeber endlich losgeworden, unternahm William eine zweijährige Wanderung von Norfolk nach Cornwall, auf der er sämtliche Kirchen, Burguinen, Stadtmauern, ja sogar die großen Hügelbilder, bis ins Detail beschrieb, die ihm unterkamen.

Eine etwas exzentrischere „Forschung“ ereignete sich in den 1530er Jahren. Ein junger Diakon, John Leland, bekam den königlichen Auftrag von Heinrich VIII. die Klosterbibliotheken des Landes nach „wichtigen Texten und Textsammlungen“ zu durchsuchen, damit sie „aus dem Dunkel des Todes wieder ans Licht des Lebens“ hervorgeholt würden. In Wahrheit bedeutete dies nichts anderes, als das, als Heinrich VIII. die Klöster der Reihe nach schließen ließ bzw. konfiszierte, eine umfangreiche Menge der Bücher aus diesen Klöstern in seinem Palast endete. Aber als Leland mit diesem Auftrag das Land bereiste, so verzeichnete er auch gewissenhaft die verschiedenen alten Gebäude, die er sah. Dies war für viele dieser Bauten das erste Mal, das sie als solche erkannt und aufgezeichnet wurden. Für nahezu 200 Jahre verstaubten Lelands Aufzeichnungen im Regal, ignoriert als das Gschwafel eines Sonderlings. Möglicherweise wurden sie im Jahre 1710 einmal veröffentlicht, aber es dauerte bis zum frühen 20. Jahrhhundert, bevor ihr wahrer Wert erkannt wurde. Nun geben diese Aufzeichnungen uns ein einzigartiges Bild des Englands des ausgehenden Mittelalters.
Die Motivation König Heinrichs VIII. scheint ersteinmal reine Plünderung gewesen zu sein, und das ganze Unterfangen trieb Leland anscheinend komplett und unwiderruflich in den Wahnsinn.
Aber beide, John Leland und William Worcester, zeigen, das die Menschen begannen sich für die Vergangenheit, namentlich der Bauwerke und [Kultur-]Landschaften in Großbritanntien zu interessieren.

Diese neue Pseudo-Wissenschaft brauchte alsbald einen Namen: Die Bezeichnung lautete „Antiquarianismus„. Richtig „Anlauf“ nahm diese neue Disziplin, als die ersten Forscher aus dem neuentdeckten Amerika heimkehrten. Sie brachten Erzählungen mit von „Wilden“, die sie Indianer nannten. Die Gelehrten des 16. Jahrhunderts waren regelrecht begeistert von diesen „Wilden“ und ihrer Körperbemalung. Sie schienen die perfekten Beispiele dafür zu sein, wie die Ureinwohner Britanniens in der grauen Vorzeit einst ausgesehen haben mochten. Die Künstler der Tudor-Zeit fertigen lebhafte Zeichnungen von indianischen Holzkreisen an, die an Stonehenge erinnerten, und die darin tanzenden Eingeborenen waren ein perfektes Abziehbild der Figuren aus Disneys „Pocahontas„.
Das Bildnis einer barbusigen, über und über blau tätowierten, schwertfuchtelnden Frau, wie sie vom Forscher und Illustrator John White gezeichnet wurde, mag nicht historisch korrekt sein, aber Sie mögen sich vorstellen können, wie eingehend und langwährend sie von den ernsten Mitgliedern der Royal Society untersucht wurden.
Die Tatsache, das diese primitiven Leute nur Steinwerkzeuge besaßen, faszinierte die Antiquare sehr. Tausende von großen, blank behauenen Steinen waren in Britannien seit dem Mittelalter gefunden worden – aber niemand konnte erklären, um was es sich dabei handelte. Hergestellt durch Feen, oder als das Rasultat von Blitzeinschlägen angesehen, wurden sie als magische Glücksbringer gehandelt und verkauft – um im Dachgiebel aufgehangen Schutz gegen Blitzeinschlag und Feuer zu bieten.
Aber nun, als man sie mit den Werkzeugen der Indianer verglich, wurde es offensichtlich, das diese sonderbaren, schönen und blank polierten Artefakte Äxte aus Feuerstein waren – hergestellt von unseren weit zurückliegenden Vorfahren. Die Kenntnis um unsere prähistorische Geschichte nahm Gestalt an.


Der große Antiquar John Aubrey (1626-97) war der erste, der die großen Steinkreise Britanniens in vor-römische Zeit datierte, und zwar in die Zeitepoche, in der die Menschen die steinernen Äxte benutzten.
Er erregte damit die Aufmerksamkeit seines Gönners, König Charles II., nach dessen Besuch des Steinkreises von Avebury, einem Ort, der bis dahin wohl komplett übersehen worden war. „Seine Majestät„, so schreibt Aubrey, „ordnete an, das ich bis an den Grund der Steine grübe…auf das ich irgendwelchen menschlichen Knochen fünde, aber ich tat dies nicht.“ Ob er es aus Faulheit unterließ oder dankenswürdigerweise das archäologische Erbe Britanniens schützen wollte, ist nicht überliefert.


Aber das 17. Jahrhundert war nicht nur die Zeit, um die Landschaft auf der Suche nach bis dato unbekannten Fundplätzen auf den Kopf zu stellen. Es war ebenso der Beginn der großen Zeit der Sammlungen. Die begüterte Oberschicht begann, ihre eigenen Sammlungen an interessanten Artefakten anzulegen. Einer der berüchtigsten dieser Sammler war Elias Ashmole, ein Diener des Königs, der von der faszinierenden Sammlung im Besitz des Forschers John Tradescant und seiner Frau Hester hörte, und ihnen anbot, diese zu katalogisieren.
Dann drängte er das Paar dazu, ihm diese Sammlung „aus freien Stücken“ zu überlassen. Doch John änderte seine Meinung später, und vermachte seine Sammlung testamentarisch dem König. Nach seinem Tod hatte Elias nichts eiligeres zu tun, als in das Haus neben Johns Witwe Hester zu ziehen, peinlich darauf bedacht, das sie nichts aus der Sammlung verschenken oder veräußern möge. Neun Jahre später wurde die arme Frau in ihrem eigenen Gartenteich ertränkt aufgefunden. Elias entfernte promt alle Gemälde und Artefakte der Sammlung aus ihrem Haus und Garten, sobald er davon hörte.
Aus diesen schäbigen Anfängen entwickelte sich das erste öffentliche Museum in Britannien: „the Ashmolean“ öffnete im Jahre 1683. Obwohl Elias Name immer noch als der Name des Günders gilt, so sind doch die Eheleute Tradescant nicht komplett vergessen: Während sie nämlich neue botanische Proben in Virginia sammelten, gaben sie einer Pflanze ihren Namen – Tradescantia. Eben jene kleine Zimmerpflanze, die seitdem als Staubfänger auf den Fensterbänken Britanniens sitzt – von Bodmin bis Inverness.

Im 18. Jahrhundert begannen gebildete Männer aus der Mittelschicht, auf der ganzen Welt Dinge zu vermessen und aufzuzeichnen – was auch immer ihnen unter die Augen kam. Diese Beobachtungen mündeten in einer Reihe von Wissenschaften. So war es mit der Archäologie genauso wie mit der Geographie, Geologie und der Naturgeschichte.
William Stukeley (1687-1765), ein Arzt und ehemaliger Vikar, führte minutiöse Vermessungen in Stonehenge durch. Außerdem ergrub er dort Bestattungen – dies sind die ersten Aufzeichnungen einer richtigen archäologischen Grabung, die wir kennen.
Seine Erkenntnisse führten Stukeley zu der Annahme, das diese Begräbnisse nicht, wie vorher vermutet, für die Toten einer bedeutenden Schlacht gewesen waren, sondern vor-römische „Bestattungen von Königen und hohen Persönlichkeiten während einer beträchtlichen Zeitspanne des Friedens“ waren.
Seine Arbeit ist bemerkenswert professionell für diese Zeitperiode, aber als seine Ergebnisse 1740 veröffentlicht wurden, hatte er seine Meinung unglücklicherweise radikal geändert. Er war nun besessen von der Idee, Druiden hätten Stonehenge als auch Avebury errichtet. Ja – er verkleidete sich selbst sogar als druidischer Hohepriester und vollführte druidische Rituale. Während man das noch nachsichtigerweise als „etwas bekloppt“ bezeichnen kann, so manipulierte er traurigerweise ebenso seine Funde, um seine neuen Theorien zu untermauern. Somit ist er der urspünglich Verantwortliche für die bis heute andauernde und falsche Assoziation zwischer Druidentum und den großen Steinkreisen.
Man kann im zugute halten, das er erst die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machte, das die Steinkreise Plünderungen und Mißbrauch ausgesetzt sind. Aber es ist eine Ironie, das seine betrügerische „Wissenschaft“ die Inspiration für das alljährliche Chaos zur Sommersonnenwende, wie wir es heute auf der Salisbury Plain erleben, werden sollte.

Im frühen 19. Jahrhundert wurde das Ausgraben von alten Artefakten zum Hobby für gebildete Gentlemen. Ihre Ehefrauen und Töchter machten derweil ein Picknick, und sahen ihren unerschrockenen Männern und Vätern dabei zu, wie diese die gedungenen Landarbeiter bei der Plünderung von Britanniens Hügelgräber überwachten. Die hierbei gefundenen Urnen und Pfeilspitzen endeten in der Regel im nächstgelegenen Herrenhaus, im dortigen Kuriositätenkabinett einträchtig vereint mit ähnlichen Funden aus der Türkei, Griechenland und Ägypten.

Aber wie alt genau waren diese Trophäen?
Im 17. Jahrhundert hatte der Erzbischof James Ussher (1581-1656) anhand seiner Bibelstudien ausgerechnet, das die Welt im Jahre 4004 vor Christi Geburt erschaffen worden war. Dieses Datum war sogar auf den Umschlag der offiziellen King James Bibel [wegweisend f d. engl. Sprache, vgl. Lutherbibel f. d. dt. Spr, Anm. d. Übrs.] gedruckt.
Aber die Wissenschaft den 19. Jahrhunderts hatte ernsthafte Zweifel an dieser Berechnung. In ganz Europa erkannten die Geologen, das die Prozesse, die Felsschichten, Fossilien und Flußablagerungen formten, weit mehr Zeit benötigten, als es der Zeitrahmen von Bischof Ussher zuließ. Zusätzlich enthielten einige der sehr alten Schichten menschengemachte Werkzeuge, so das es offensichtlich wurde, daß die Menscheit länger auf diesem Planeten lebte, als bisher angenommen.
Im Jahre 1859 veröffentliche Charles Darwin sein Werk „über die Entstehung der Arten“ und bewies damit, das nicht nur Pflanzen und Tiere sich über Jahrtausende entwickelt hatten, sondern auch die Menschen und ihre Werkzeuge über einen ebenso langen Zeitraum.
Die Kuratoren der Museen saßen zwar förmlich auf Bergen alter Werkzeuge, wußten diese aber nicht nach den Zeitperioden zu kategorisieren, in denen sie hergestellt worden waren. Schließlich war es ein Däne, Christian Thomsen (er starb 1865), der beschloß, sie nach dem Material zu benennen, aus dem sie gemacht worden waren: Stein, Bronze und Eisen.
Die tiefsten Funde waren aus Stein, die am nächsten der Oberfläche gefundenen aus Eisen – so schien es für geboten, dies als die richtige chronologische Reihenfolge anzusehen. Die Einteilung in Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit war geboren.
Dann – im Jahre 1880 – revolutionierte ein Mann die Welt der Archäologie vollkommen. Ein kränklicher ehemaliger Armee-Landvermesser namens Augustus Lane-Fox, der bereits Antiquitäten in der ganzen Welt gesammelt hatte. Er erbte ein großes Gestüt an der Grenze zwischen Wiltshire und Dorset, unter der Bedingung, das er seinen Namen zu dem des Erblassers abänderte: Pitt-Rivers. Er willigte ein, und begann daraufhin das komplette Gelände seines neuen Besitzes umzugraben. Es erwies sich als picke-packe-voll mit steinzeitlichen, bronzezeitlichen und römischen Funden – und er hatte das Geld, die Zeit und die Arbeitskraft um die Sache gründlich zu machen. Seine Arbeit ist die Blaupause einer wissenschaftlichen Grabung: Er grub, er zeichnete auf und er publizierte gewissenhaft. Er schrieb alles nieder. Er unterstellte jedem einzelnen Fund, den er ausgrub, das dieser wichtig für das Verständnis des gesamten Grabungsareals sei.

Grundsätzlich„, so schrieb er, „zeichnen Ausgräber nur das auf, was im Moment wichtig erscheint. Aber neue Fragestellungen werden auftauchen, und schwerlich werden sie zu lösen sein, wenn ihre Anhaltspunkte der Aufmerksamkeit entgangen sind…. beim zurückblättern nach Beweisen in älteren Aufzeichnungen; die Dinge, die den meisten Wert besitzen, wird man übersehen haben, da man dachte, das sie zu diesem Zeitpunkt uninteressant seien. Demnach sollte jedes einzelne Detail aufgezeichnet werden.
Augustus Pitt-Rivers umschrieb damit die Grundregel, die als Basis der modernen Archäologie gilt.

Archäologie ist Drecksarbeit – Einleitung und Kapitel 1

Das folgende aus dem Englischen übersetzt, und nur an wenigen Stellen sinnwahrend (Regionalbezug GB/D) abgeändert. Original: by Tony Robinson and Professor Mick Aston.

Ich übersetze dies, um das Werk der beiden vorgenannten Autoren zu würdigen und es einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Die hier gemachten Beobachtungen und Beschreibungen lassen sich im Grundsatz auch auf den deutschen Kulturraum anwenden, allerdings nicht zu 100%. Um aber möglichst nahe am Originaltext zu bleiben, habe ich es unterlassen, Beispiele aus der britischen Geschichte durch solche aus der deutschen Geschichte zu ersetzen. Die Grundzüge der geschichtlichen Abläufe, der Behördlichkeiten sowie der praktischen archäologischen Grabungsarbeit sind in beiden Ländern vergleichbar.

Danksagungen

Dieses Buch ist an erster Stelle Phil Harding gewidmet, einem großen Mann, guten Freund und einem hervorragenden Archäologen. Es ist aber auch gewidmet den Heerscharen an hochqualifizierten, unterbezahlten Grabungshelfern, die sich zu hohen Standards verpflichten, und damit helfen, das die britische Archäologie zu den besten der Welt gehört.
Vielen Dank für ihre Hilfe an: Prof. Margaret Cox, Bob Croft, Kerry Ely, Dr. Helen Geake, Dr. Chris Gaffney, Phil Harding, Andrew Jackson und David Neal, besonders an Guy de la Bédoyère, der uns durch die haarigen Probleme in Kapitel 13 sicher geleitet hat.
Jede aufschlußreiche Bemerkung ist ihre. Jeder Fehler ist uns anzurechnen.
Wie gewöhnlich, schulden wir tiefen Dank Teresa Hall und Heledd Mathias für ihre Hilfe, Unterstützung und Ermutigung – natürlich auch für die Niederschrift und das Korrekturlesen.
Schlußendlich ein großes Dank an Prof. Philip Rahtz, dessen Lehrmethoden und archäologische Kompetenz eine stetige Inspiration für uns war.

Einführung

Lara Croft schlägt sich ihren Weg frei in das Innere einer antiken Pyramide, die gespickt ist mit Skeletten, glitzernen Schätzen und mechanischen Falltüren aller Art. Sie greift nach einer Liane und schwingt mühelos über ein von Cobras nur so wimmelndes unterirdisches Gewölbe, reißt einen goldenen Kelch von einem bröckelnden steinernen Altar und dann, tellergroße Spinnen abwehrend, flüchtet sie zurück in die Tiefe des Urwaldes – während das gesamte Bauwerk um sie herum tosend zusammenbricht.
Das ist Archäologie, wie sie auf der ganzen Welt durch Hollywood und die Computerspiele-Industrie bekannt ist. Aber solch Hochglanzbilder von Diebstahl und Zerstörung haben nur wenig gemein mit den windigen Feldern, voll von wertlosem Geröll, in denen echte britische Archäologen ihren Lebensunterhalt verdienen. Für sie gibt es keine goldenen Kelche. Wenn sie Glück haben, finden sie ein paar zerstörte Keramikgefäße, eine zerbrochene Spange [Fibel, Anm.d.Übs.], einen verbogenen Dolchgriff oder ein Stück von verbranntem Türrahmen.
Ja, Archäologie ist nicht glamourös, es ist Drecksarbeit! Irgendwann in der Vorzeit, haben unsere Vorfahren diese kaputten und zerstörten Gegenstände weggeworfen. Die Grundsubstanz dessen, mit dem sich Archäologen auseinandersetzen, ist der Abfall einer langen Reihe von steinzeitlichen Handwerkern, römischen Hausfrauen, normannischen Töpfern, Zimmerleuten der Tudor-Zeit, Pfeifenmachern der Stuart-Ära und viktorianischen Fabrikarbeitern. Britische Archäologie ist die Geschichte der Abfallentsorgung unseres Landes.
Aber warum wurde dieser Abfall nie beseitigt? Warum ist so viel von Großbritannien meterdick bedeckt mit dem verrottenden Müll von hunderten von Generationen an unbedarften Müllwegwerfern?
Eines der größten Probleme im Leben unserer Vorfahren war die Frage, wie Dinge zu entsorgen waren, die sie nicht mehr benötigten. Vor 1900 gab es keine kommunale Abfallentsorgung. Müll loszuwerden, war Ihr eigenes Problem – und nur Ihres. Recycling war kein gutmenschlich-motivierter Luxus der Mittelklasse: jeder tat es. Wenn Ihr Abfall eßbar war, so gaben Sie es Ihren Schweinen. Wenn er aus Metall war, so haben Sie es engeschmolzen. Aber was tun mit der großen Masse an komplett nicht mehr zu gebrauchendem taglichem Abfall?
Die Landbevölkerung warf den Müll auf den Misthaufen, von wo aus er später mit Pferdeäpfeln und Kuhmist als Dünger auf den Feldern landete.
Der Stadtbewohner hingegen vergrub seinen Unrat in einem Loch im Garten – und wenn das Loch voll war, wurde ein neues gegraben. Das ist der Grund, warum man heutzutage über nahezu jedes Feld in Großbritannien laufen kann, und dabei Glasscherben, Keramikscherben und zerbrochene Tonpfeifen findet.
Wenn Sie aber nun in einer alten Stadt graben, dann werden Sie Schicht über Schicht von dunkler Erde finden, voll von alten Bruchstücken und Teilen – der Beweis für Jahrhunderte an vergrabenen städtischen Abfall.
Aber nicht nur der im Haushalt anfallende Müll war das Problem. Auch der von „menschlicher Natur“. Die frühesten Abwasserkanäle sind erst 150 Jahre alt. Davor erledigten die meisten Menschen ihr Geschäft über ein Loch im Boden – und wenn sie es gefüllt hatten, nahmen sie sich ihren Spaten und sahen sich nach einer neuen passenden Stelle um. Diese alten Senkgruben liefern heute den Archäologen eine reiche Beute an verlorengegangenen Funden. Wenn Tantchen ihren Haferbrei-Löffel im Plumpsklo verloren hatte, so sah sie sich wohl nicht bemüßigt, sich die Ärmel hochzukrempeln, um das Ding wieder zu finden. Egal wie wertvoll er gewesen sein mochte, es gibt ein paar Sorten von Goldtöpfen, in die man dann doch lieber nicht greifen möchte.
Menschliche Hinterlassenschaften wurden allerdings auch oft transportiert. Jeden Morgen erreichten Karrenfuhrwerke eine jede englische Stadt, beladen mit Obst und Gemüse, um sie ein paar Stunden später, randvoll beladen mit sogenannter „Erde der Nacht“, wieder zu verlassen. So mag auch Tantchens Haferbrei-Löffel auf einem 5 Meilen entfernten Feld gelandet sein – zusammen mit dem Rest des Düngers.

Aber wenn nun Archäologie sich nur um Müll dreht, warum dann die Mühe ihn auszugraben, Bücher darüber zu schreiben und ein Vermögen dafür ausgeben, ihn zu erhalten?
Auf den ersten Blick ist es sicherlich ein recht bizarr anmutender Vorgang: Der zerbrochene Nachttopf, den ein Bauer aus der Tudor-Zeit sorglos auf seinen Misthaufen geschmissen hat, ist nun minutiös über mehrere Tage hinweg ausgegraben worden, die Teile wurden gewaschen, etikettiert, katalogisiert, fotografiert und für einen wissenschaftlichen Bericht gezeichnet, bevor sie in ein Labor für Konservierung und Restaurierung gebracht wurden, um endlich in einer Glasvitrine zu landen. Oder schlimmer noch: Sie verschwinden für hunderte Jahre in einem Pappkarton, eingelagert in einer speziellen Temperatur/Luftfeuchtigkeitsumgebung im Archiv eines Museums – einzig um in dem unwahrscheinlichen Falle geöffnet zu werden, wenn ein trauriger Archäologiestudent seine Hausarbeit über „ländliche Schlafzimmer-Keramiken der Tudor-Zeit“ schreiben möchte.
Es ist etwas schwer zu verstehen, warum jemand, der noch bei Verstand ist, durch diesen langen Prozeß von Ausgrabung, Restaurierung und Lagerung gehen sollte, geschweige denn das ganze zu finanzieren.
Aber es ist nun mal so, daß dieses Füllhorn an Abfall uns weit aus mehr darüber erzählen kann, was in der Vergangenheit vor sich ging, als tausend goldene Kelche, die die man von mit tausend Spinnen bevölkerten Temeplaltären genommen hätte.
Natürlich ist es aufregend, ein juwelenbesetztes Teil eines Schatzes aus der Erde zu ziehen. Aber solche Funde sind nicht dazu geeignet, mehr über die Person zu erfahren, die es einst mal getragen oder angefertigt hat. Und die endlosen Probleme, die ein wertvoller Fund aufwirft, sind eindeutig abschreckend: Wie finden Sie heraus, wem es rechtmäßig gehört? Möchten Sie wirklich in der Gerichtsmedizin landen oder in einen komplizierten Rechtsstreit verwickelt werden? Wer übernimmt die Versicherung? Wer wird sich um diesen Fund kümmern und wo kann er sicher gelagert werden?
Die meisten echten Indiana Jones‘ da draußen würden lieber eine antike kanaanitische Bauernhütte finden wollen, anstatt Noahs Arche – es wäre genauso interessant und würde weitaus weniger Ärger machen.

Also wenn Sie nur an Archäologie interessiert sind, weil Sie denken, es sei ein aufregender Weg um unersetzliche (und folglich wertvolle) Artefakte in die Finger zu bekommen, so schließen Sie dieses Buch unverzüglich, und schauen sich stattdessen lieber „die Jäger des verlorenen Schatzes“ auf DVD an.
Wenn Sie sich aber möglichst elegant durch einen Morast von altem Müll und Abfall schleppen möchten, um mehr über die Geschichte Ihrer Vorfahren zu erfahren, dann ziehen Sie sich Mantel, Filzhut und Gummistiefel an, gehen raus in Ihren Garten und graben ein Loch.

Kapitel 1

Aber graben Sie nicht einfach drauf los: Das erste, was zu tun ist, ist: Sich umschauen. Wenn Sie den Garten eines beliebigen Hauses einer beliebigen Stadt in Großbritannien erforschen, werden Sie eine Fülle an archäologischem Müll allein in der obersten Bodenschicht antreffen.
Was haben Sie in Ihrem Garten? Da sind ein paar Krümelchen von Kohle und Holzkohle. Asche von alten Grillfeuern und verbrannten Gartenabfällen. Sie können kleine Teile glasierter weißer Keramik ausmachen, die Überbleibsel von Tassen, Tellern, Untertassen und Saucieren. Das mag nicht nach viel aussehen. Es könnte sogar bis in die jüngste Vergangenheit in Benutzung gewesen sein. Vielleicht sehen Sie diese Reste jedesmal, wenn Sie Ihre Blumenbeete umgraben, und für gewöhnlich ignorieren Sie sie. Aber das ist die oberste Schicht der Archäologie in Ihrem Garten!
Schauen Sie mal unter den Rosenstrauch. Da liegt ein Stück blau-weißer Keramik. Ist das von Woolworth? Könnte es von einem Kaffeeservice aus dem 19. Jahrhundert stammen? Es könnte aber auch aus Holland importiertes Delfter Porzellan aus dem 16. oder 17. Jahrhundert sein. Oder aber es könnte sich sogar um chinesisches Porzellan handeln – die Vorlage für später massenhaft produzierte Weidenmuster Tee-Service. Tun Sie das Stück in eine Schachtel, und machen Sie eine Notiz, daß Sie den Inhalt auf der Oberfläche ihres Gartens gefunden haben. Später wird es noch nötig sein, es richtig zu beschriften.
Überall sind Stücke von rot gebranntem Ton. Einige von ihnen sind Bruchstücke von Blumentöpfen, aber Sie finden auch Bruchstücke von Ziegelsteinen, den Trümmern abgerissener Gebäude. Bevor Mr. Marley seinen Dachzeigel erfand und Mr. Breeze seinen neuartigen Baustein [in Dtl würde man vom Ytongstein sprechen, Anm. d.Übs.], waren Ziegelsteine 200 Jahre lang das gewöhnliche Standard Baumaterial im ganzen Land.
Da sind dutzende kleiner Stücke von purpur-blauem Schiefer, meilenweit weg von ihrem ursprünglichen Vorkommen. Im 18. Jahrhundert, zur Blüte des Netzes an Wassertransportkanälen in Großbritannien, hatte das ganze Land Zugang zu billigem Material für standardisierte Dachbedeckungen – Schiefer aus den Steinbrüchen in Nord-Wales. Wenn Sie wirklich Glück haben, dann stammt ein Stück des Schiefers von einer alten Schul-Schreibtafel. Aber das können Sie jetzt noch nicht mit Bestimmtheit sagen, solange Sie nicht den dazugehörigen Griffel finden. Er sähe ungefähr so aus wie eine Stricknadel. Sie stochern ein paar Minuten herum. Alles was Sie finden, ist eine Walnußschale, aber keinen Griffel.
Dann fangen die Dinge an, interessant zu werden. Sie drehen ein paar Stücke dickerer, mehr rauere Keramik herum. Eines ist orange-rötlich, die anderen sind mehr bräunlich-gelb und glasiert auf der Innenseite, nicht aber der Außenseite. Das geschah, um die Gefäße möglichst billig zu produzieren. Die Innenseiten wurden glasiert, damit sie wasserundurchlässig waren. Aber die Außenseiten brauchten nicht wasserfest zu sein – so ließ man sie unbehandelt. Diese Scherben sind das Produkt alter ländlicher Töpferei. Die Leute kauften so etwas nicht in einem Laden – Töpferwaren wurden von Dorf zu Dorf mit einem Karren gefahren. Diese Fragmente in Ihren Händen sind die letzten erhaltenen Beweise einer ländlichen „Industrie“, die jahrhundertelang das Land mit Keramik versorgte, bevor sie von billiger Massenware aus den Tongruben in Stoke-on-Trent abgelöst wurde.
Sie finden auch Bruchstücken von Steinzeug, grau auf der Innenseite und glänzend auf der Außenseite. Da ist sogar ein Stückchen mit eingestempelten Buchstaben. Es ist ein Fragment eines Vorratsgefäßes, ein Vorläufer der großen Plastikkanister, die wir für Frostschutzmittel oder billigen Wein verwenden.

Und natürlich ist Ihr Garten durchsiebt mit Glasscherben. Die flachen dünnen Teile stammen von Fenstern, die gekrümmten von Flaschen. Der klar durchsichtige Teil ist mehrheitlich aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Aber Sie haben auch ein paar Stückchen, die ziemlich exotisch anmuten, da sie in allen möglichen Farben schimmern wie eine Pfauenfeder. Diese stammen wahrscheinlich aus dem 17. oder 18. Jahrhundert. Das lebendige Farbenspiel wird durch die Korrosion des Materials in der Erde verursacht. Ob das Glas durchsichtig ist oder nicht, hängt von den verschiedenen Herstellungsmethoden früherer Zeiten ab. Als Faustregel gilt: römisches Glas ist durchsichtig, welches aus dem Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert ist durch Korrosion bunt schimmernd und modernes Glas ist wieder durchsichtig.
Bis ins 16. Jahrhundert war Glas so wertvoll, das, wenn Sie von einem Haus in ein anderes umgezogen wären, Sie Ihre Fensterscheiben mitgenommen hätten. Glasflaschen als Behälter für Flüssigkeiten kamen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf, aber selbst zu dieser Zeit waren sie noch recht wertvoll. Wenn Sie wohlhabend genug gewesen wären, hätten Sie sich ein Faß Wein gekauft, und diesen zum Verzehr in Flaschen abgefüllt. Aber die leeren Flaschen hätten Sie nicht einfach weggeworfen, sondern ausgespült wieder befüllt. Und für den Fall, das Ihre Gäste so dreist gewesen wären, sie als teueres Souvenir unter ihrer Kleidung nach Hause zu schmuggeln, hätten Sie ihren persönlichen Stempel am Flaschenhals anbringen lassen. Erst nach und nach wurden immer mehr Glasflaschen en masse produziert, so daß Bierflaschen, Milchflaschen und Weinflaschen günstig genug wurden, das man sie nach der Benutzung wegwerfen konnte.

Sie entdecken zwei kleine runde Dinger, die aussehen wie einfache Glasmurmeln. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um „Trophäen“ von Schuljungen von vor ca. 100 Jahren: Lange vor der Erfindung der Aluminiumtrinkflasche, zerschlugen die Kinder die Flaschen von kohlesäure-haltigen Getränken, um an die Glaskugel zu kommen, die als Verschluß der Flaschen diente.
Dann raffen Sie eine handvoll kleiner Tonstäbchen auf, die etwas wie weiße Plastikröhrchen aussehen, um die ein moderner Litzendraht gewickelt zu sein scheint. Sie haben keine Ahnung, was das sein könnte. Wenn Sie sich das ganze aber etwas näher betrachten, sehen Sie, das die Röhrchen schwarze Flecken haben. Dann finden Sie aber ein verräterisch passendes rundlichen Ding – und Sie sehen, das es sich um abgebrochene Stengel einer Tonpfeife handelt, geschwärzt durch den Tabakrauch. Quasi die Zigarettenkippen der Geschichte. Sir Walter Raleigh führte den Nikotingenuß schon zu Tudor-Zeiten ein, aber es dauerte bis zum 17. Jahrundert, bis Pfeiferauchen groß in Mode kam.
Im 19. Jahrhundert hatte sich der Geschmack der „besseren Gesellschaft“ weg von der Pfeife hin zur Zigarre verlagert, es waren nun die Armen, die an der Tonpfeife zogen. Aber gebrannter Ton ist brüchig und die Pfeifen brachen ständig. Für gewöhnlich begann die Lebensspanne einer Tonpfeife bei einer Länge von etwa einem halben Meter (sogenannte „Churchwarden-Pipe“), aber jedesmal, wenn ein Stück abbrach, warf der Besitzer das abgebrochene Stück fort und der Pfeifenkopf wanderte ein Stück näher an dessen Nase. Solange, bis es entweder endgültig zerbrach, oder die Nasenhaare des Besitzers derartig versengt wurden, das er den Stumpen endgültig wegwarf.
Der Stil der Pfeifenköpfe änderte sich über die Zeit. Ursprünglich waren sie klein und faßförmig, gerademal groß genug, um die Menge Tabak von der Größe einer Erbse aufzunehmen. Später wurden sie größer und saßen aufrecht auf dem Pfeifenstengel. Viele trugen Stempel, um den Hersteller oder den Ort der Herstellung zu bewerben. So können oftmals Stücke einer Tonpfeife, besonders die des Kopfes, auf ein Jahrzehnt genau einem einzelnen Pfeifenhersteller zugeordnet werden. Das ist ein besonders nützlicher Anhaltspunkt zur Datierung.

Mal abgesehen von diesen Trümmern, finden Sie natürlich auch andere kleine Schätze – eine Plastik-Soldatenfigur aus einer alten Cornflakes-Schachtel, die Karosserie eines Matchbox-Autos und einen Legostein. Weiterhin so eine kleine braune Kugel, die etwas aussieht wie die Glasflaschenkugeln, aber in Wirklichkeit ist es eine richtig alte Murmel aus gebranntem Ton. Die Metallstücke und Fragmente sind (Teile von) Nägeln, Haarnadeln und Spangen, Schnallen von Gürteln, Taschen und Zaumzeug eines Pferdes, Stücke von Blechschildchen und Döschen, sowie Knöpfe und Schrauben.
Außerdem finden Sie kleine Teile einer vor Ewigkeiten weggeschissenen Keramikfigur – einen einzelnen Arm, einen abgetrennten Kopf und ein nicht zuzuordnendes Teil des Torso.

All dieser Abfall ist Archäologie. Er erzählt uns, wie die Menschen hier lebten in den letzten zwei- dreihundert Jahren. Es ist die an Archäologie reichhaltigste Epoche, die unser Planet bis dato kennt.
Mit dem 17. Jahrhundert beginnend gibt es eine schiere Explosion der Anzahl von Teilen und Resten gewöhnlicher Gebrauchsgegenstände für gewöhnliche Leute. Ein Beispiel: Die Knöpfe, die Sie gefunden haben, waren nur im 18. Jahrhundert in Mode, und die Schrauben wurden erst von ungefähr 100 Jahren erfunden. Damals gab es nicht nur mehr Leute, sie konnten sich auch mehr Dinge leisten, die aus neuen Materialien gefertigt wurden, die eben nicht verrotteten oder zerfielen – und so blieben sie erhalten, um von Ihnen, dem furchtlosen Archäologen, in Ihrem Garten wiederentdeckt zu werden.
So viele Funde, so viel an Geschichte – und Sie sind noch nicht einmal ans schwitzen gekommen.

Buchrezension „die Schlacht – Waterloo 1815“

Die Schlacht von Waterloo stellt zweifelsohne eine der bekanntesten punktuellen geschichtlichen Ereignisse der zivilisierten Welt dar. Selten zuvor und danach hat ein einzelnes Ereignis in der Geschichte der Kulturnationen solche Folgen in der öffentlichen Wahrnehmung gehabt; als Symbol für eine Zeitenwende einerseits, als populär eingeprägtes Synonym für eine totale Niederlage andererseits.

Klaus-Jürgen Bremm hat 2015 mit seinem Buch „Die Schlacht – Waterloo 1815“ eine Studie über dieses Ereignis vorgelegt. Erschienen ist das Werk 2015 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt.

Auf gut 230 Seiten Text bemüht sich der Autor nicht nur um eine Schilderung des Schlachtverlaufes als solches, sondern auch um eine Einführung in die Ausgangslage. Allerdings erfolgt dies begrüßenswerterweise zuerst anhand einer Einordnung des Geschehens in einen zeitlich-kulturellen Kontext der frühen Neuzeit, respektive des Ancien Regime, und stellt Waterloo anschaulich als dessen Fanal heraus. Weiterhin folgt eine Einordnung in den historisch-geographischen Kontext, der das Gebiet des heutigen Belgiens als den zentralen Brennpunkt der französisch-britisch-preußisch –(deutschen und österreichischen/spanischen) Machtkämpfe von der frühen Neuzeit bis in das 20. Jahrhundert herausarbeitet.
Der vergleichende Werdegang von Napoleon, Wellington und Blücher rundet die Darstellung der Vorgeschichte ab.
Die Tatsache, das der Autor für den Verlauf der napoleonischen Kriege, die immerhin fast ein Vierteljahrhundert den europäischen Kontinent prägten, nur wenige Seiten aufwendet, nötigt dem geneigten Leser Respekt ab. Zum Verständnis des Phänomens „Waterloo“ ist dies jedoch ausreichend. Es gelingt Bremm bereits in der Einleitung, die Bedeutung der Schlacht von Waterloo über das Schicksal Napoleons und Frankreichs hinaus für die nachfolgende Geschichte Europas herauszustellen.

Im zweiten Teil widmet sich Bremm der Schilderung des eigentlichen Schlachtverlaufes. Hierbei folgt er chronologisch den Ereignissen, allerdings tut er dies an manchen Stellen sehr detailreich.
Zwar besitzt die vorliegende Ausgabe mehrere Karten, jedoch von unzureichender Genauigkeit, nicht einheitlichem und nicht gekennzeichnetem Maßsstab, so daß sich die Ereignisse im einzelnen nur mühsam mitverfolgen lassen.
Erschwerend kommt hinzu, das die gut gemeinte Genauigkeit in der Benennung der agierenden Personen und Truppenteile, ohne entsprechendes erläuterndes Kartenmaterial leider sehr verwirrend ist. Man mag dem Autor seine eigene Prägung als Reserveoffizier der Bundeswehr nachsehen, aber selbst Fachleute werden Mühe haben, die Bewegungen von Korps, Brigaden und Schwadronen geistig mitvollziehen zu können.
Die Verleger täten gut daran, bei einer neuerlichen Auflage besseres und genaueres Kartenmaterial in die Mitte des Buches zu platzieren.
Sehr anschaulich und lobenswert sind die vorhandenen Einschübe von Augenzeugenberichten, die sich an passender Stelle in den Textfluß einfügen.
Diametral zu der fachlichen Genauigkeit steht manchmal der etwas leicht flapsig wirkende Schreibstil, der nicht recht zu zu den Ereignissen paßt, besonders nicht, wenn wieder einmal „die 2. Brigade X von a nach b rückt, während die 5.Division Y nur 500m entfernt von c nach d marschiert“.
Auch Formulierungen wie „Rechts neben Quiot griffen die beiden Divisionen Donzelot und Margognet Wellingtons linken Flügel an“, sind nur mit der räumlichen Vorstellungsgabe eines Stabsoffiziers hilfreich, für den Laien oder den fachfremden Historiker wären hier erläuternde Karten im Text sehr hilfreich.

In der Rezeptionsgeschichte geht Bremm darauf ein, daß die Schlacht von Waterloo im späteren Bewußtsein unterschiedlich von Siegern und Besiegten wahrgenommen wurde. Für die Briten war „die Schalcht von Waterloo“ ein britischer Sieg, mit marginalem deutschen Anteil. Für die Preußen war „die Schlacht von Belle Alliance“ eine preußisch-britische Gemeinschaftsaktion auf gleicher Augenhöhe.
In Wahrheit bestand Wellingtons Armee vor Ort (also Blücher und die Preußen nicht eingerechnet) nur zu Hälfte aus Briten. Die andere Hälfte bestand aus Soldaten deutscher Länder wie Nassau, Hannover und Braunschweig, sowie einem nicht unerheblichen niederländischen(belgischen) Kontingent.

Vielleicht um eine im Sinne der historischen Ereignisse gleichwertige Darstellung zu erzielen, geht Bremm ebensogründlich auf die (Neben-)Schauplätze mit preußischer Beteiligung in Ligny und Wavre ein. Besonders stellt er im biographischen Teil über Blücher dessen Stabschef Gneisenau heraus. Im Gesamtbild versucht Bremm die britische Darstellung, einer britischen Schlacht mit deutschen Nebendarstellern, etwas „gerade zu rücken“. Doch kann man sich nicht ganz des Eindruckes erwehren, er meine es hiermit zu viel des guten. Nicht, das er so weit ginge, und die Vorzeichen auf den Kopf stellt, aber eine gewisse Überschwänglichkeit bezüglich der preußischen Armee läßt sich zwischen den Zeilen herauslesen. Auch hier mag eine gewisse kollegiale Nähe zwischen dem Reserveoffizier der Bundeswehr und den historischen Protagonisten der Auslöser sein.
Dieser Punkt und noch einige folgende tragen zu einer etwas unsachlichen Färbung von Bremms Arbeit bei. Im Epilog findet sich nach der Biographie Gneisenaus der Hinweis auf die historische Vereinnahmung seiner Person durch das Dritte Reich, ebenso wie durch Bundeswehr und NVA. Aber schon der folgende (das Kapitel beschließende) Satz lautet: „Die Grafen Claus und Berthold Schenk von Stauffenberg waren seine Urenkel.“ Diese Information ist an und für sich richtig, doch konterkarriert sie an dieser Stelle die Kritik der Vereinnahmung, in dem sie mit dem Bogen von den Hitler-Attentätern zu Blüchers Stabschef Gneisenau ein unterschwelliges, die Zeiten überdauernden Bild vom „untadeligen deutschen Stabsoffizier“ zeichnet. Das hat nichts in einer wissenschaftlichen Abhandlung über das historische Ereignis von Waterloo zu suchen.
Weiterhin muß man Bremm für den folgenden Satz kritisieren: „Zum Glück nie verliehen werden musste der „Blücherorden“, den das Ostberliner Regime für besonders tapfere Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) in einem Dritten Weltkrieg vorgesehen hatte.“
Hierzu ist zu sagen: In einer um Wissenschaftlichkeit bemühten Abhandlung sollte sich der Verfasser um eine möglichst wertneutrale Wortwahl, besonders aber um eine korrekte Bezeichnung seiner Untersuchungsobjekte bemühen. Der „Blücherorden“ wurde vom Staatsratsvorsitzdenden der DDR, Walter Ulbricht im Jahre 1968 gestiftet. Die korrekte, wertneutrale Wortwahl wäre hier „Regierung der DDR“ gewesen. Die Bezeichnung „Ostberliner Regime“ ist unwissenschaflich, wertend und eher der Tatsache geschuldet, das ehemalige (Berufs-)Offiziere der Bundeswehr gerade bei inner-deutschen Fragen sprachlich der Springerpresse näher stehen mögen, als dem Schützengraben. Auch das trägt zu der unwissenschaftlichen Einfärbung von Bremms Buch bei.

Weiterhin im Epilog findet sich mE. ein wichtiges, wenn auch etwas zu kurz gekommenes Kapitel über die Kriegsversehrten, die Verletzten und das Schlachtfeld nach der Schlacht. Aspekte des Plünderns, der Leichenfledderei und der brutal anmutenden medizinischen Versorgung sind meines Wissens bislang stets zu kurz gekommen, von daher ist dieser Abschnitt sehr zu begrüßen, wenngleich er doch etwas oberflächlich wirkt. Und das Trotz eines Einschubs eines Augenzeugenberichtes eines Arztes.
Eine Wertung der Schlacht „Das Patt der Fehler und Versäumnisse“ findet auf militär-taktischer Ebene statt, und folgt dem schiedsrichterlichen Wertungsmuster eines sportlichen Wertkampfs, in dem die schlechte Leistung Blüchers durch die schlechtere Leistung Wellingtons nur durch die noch schlechtere Leistung Napoleon unterboten wird. Die Conclusio, die Kommunikation sei die Achillesferse der Kriegsführung in der frühen Neuzeit gewesen, wird zwar mehrfach erwähnt, findet aber keine so gründliche Abhandlung wie etwa Taktik, Organisation und Bewaffnung. Wenn man schon im Verlauf der Schlacht dieses Manko mehrfach erwähnt und auch in der Analyse diesen Punkt als entscheident benennt, sollte man ihn auch gründlich herausarbeiten.

Die politischen „Nachwehen“der Schlacht von Waterloo, in Form einer nachfolgenden 30jährigen Friedesperiode in Europa bis zum von Bremm mehrfach erwähnten Krimkrieg 1854 werden in einem eigenen Kapitel behandelt. Die unterschwellige Postulierung von Wellington und Blücher als Urahnen eines geeinigten friedlichen Europas zu sehen, respektive das Mächtegleichgewicht der in Waterloo alliierten Staaten und Frankreichs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als ersten Vorgriff auf Völkerbund und Vereinte Nationen zu sehen – nunja. Sicherlich lassen sich in der Zeit nach Waterloo, nach dem Ancien Regime, andere macht- und kriegs-politische Mechanismen in Europa feststellen, jedoch scheint mir dies als etwas zu kontruiert.

Handwerklich gesehen setzt Bremm viele weiterführende Fußnoten und gibt ein hinreichend großes Literaturverzeichnis an. Sprachlich leidet der Text an des Diskrepanz zwischen flapsigen Formulierungen hier und zu unübersichtlich gewordener Gründlichkeit dort. Der wissenschaftliche Anspruch leidet an einer kaum merklichen Einfärbung zwischen den Zeilen, die aber an vielen Stellen dankenswerterweise für die meisten Leser im Schlachtgetümmel untergehen wird.
Dem Schlachtgetümmel hingegen kann man nur folgen, wenn man während der Lektüre stets zwischen Text und schlechten Karten blättert – ein Manko, das wie bereits erwähnt den Verlegern anzurechnen ist.
Die fast schon pseudoreligiöse Bedeutung des Kaisers Napoleon für die französische Armee 1815, und damit sein Fortleben in der Popkultur (Schlagwort „Waterloo“) wird ebenso angerissen, wie die Bedeutung dieser Schlacht für die Nation der „Vereinigten Niederlande“, die sich zwei Jahrzehnte später in die Niederlande und Belgien aufspalten sollte.
Dem im teilweise verworrenen und ins philosophische gehenden Epilog erhobenen Anspruch, auch dem Schicksal der einfachen Soldaten nachzugehen, wird Bremm nicht gerecht. Daran können auch die vielen Einschübe von Augenzeugenpassagen nichts ändern. Zu sehr ist der Hauptteil mit generalstabsmäßigem Verschieben von abstrakten Truppenteilen beschäftigt.
Bremms Schlußwort, daß „Schlachten […]somit nicht länger die „Marksteine der Geschichte“ [sind]“ mag in der modernen geschichtswissenschatlichen Didaktik stimmen, er widerspricht hier allerdings seinen eigenen Erkenntnissen, denn für Waterloo trifft dies mehr als für die meisten anderen kriegerischen Auseinandersetzungen zu.
Die Problematik der Geschichtsdidaktik, wie denn nun Schlachten in einen historischen Kontext einzuordnen sind, mit welchen Forschungsansätzen solche Phänomene zu bewerten sind, erörtert Bremm auf den letzten beiden Seiten seines Buches.
Eine Auseinandersetzung hiermit wäre vielleicht ganz am Anfang hilfreich gewesen, es hätte der ganzen Studie eine „Richtung“ gegeben.

Fazit: kein Buch für Anfänger. Interessierte Laien mögen vom eigentlichen Schlachtverlauf, trotz Genauigkeit, etwas überfordert sein. Historiker mögen sich hingegen an Didaktik und Subtext trefflich abarbeiten.