Der Verbleib der beiden Bücher Teil 1 – das Böse

(eine eher ermüdende Bildbeschreibung. Aber gehört als zweiter Teil(!) in eine Pentalogie. war aber als erstes davon fertig)

Da fährt ein Küstenmotorschiff langsam einen sumpfigen Flußarm hinauf. Die Ufer sind von feuchtem Schlamm – von Weiden und Pappeln bestanden. Manche Bäume sind ganz kahl – vom kot der Kormorane total entlaubt. Die Vögel sitzen als unbewegliche Ölgötzen herum. Wie stumme Muhmen, die schweigend das Böse an sich vorüber ziehen lassen. Nur manchmal erhebt sich einer von ihnen und fliegt davon – das macht die Szenerie noch gespenstischer. Das Wasser in diesem Flußarm ist brackig und abgestanden. Wenig Sauerstoff, viel Algen und Entenscheiße.
Langsam tuckert der Dieselmotor des Küstenmotrschiffs. Es ist das einzige Geräusch weit und breit. Drückend schwül-warme Luft liegt über dem Wasser und dem Land. Winzige Mücken fliegen durch die Luft.
Ansonsten ist alles wie von einer bleiernden Schwere umfangen. Alles ist träge. Sogar das Wasser ist träge – wenn die Wellen, die das Schiff verursacht an Land treffen, dann dümpeln tote Fische, halb verwest in einem Algen und Entenscheiß-Teppich wie in Zeitlupe.
Niemand ist an Deck des Schiffes zu sehen. Hier will auch niemand raus an Deck. Nicht, weil es hier schwül-heiß wäre, oder wegen der Sonne, oder wegen der Mücken.
Hier ist es böse.

Das Schiff hat das Böse geladen.

Totes Holz schwimmt im trüben Wasser. Ecklige kleine Tiere, halb Schleim, halb Monster sitzen auf ihm und lassen sich treiben.
Langsam und stur fährt das Schiff immer weiter. Nur ab und an kennzeichnet eine verrostete Boje eine Untiefe links und rechts der schmalen Fahrrinne.
Myriaden von Mücken surren über dem Wasser. Klassische „Gewittertierchen“.

Das Ende des Flußarms ist eine schlammige Bucht. Sie wird durch ein Sperrwerk vom Wasser des Flußarms abgetrennt. Zwei lange Dämme aus Basalt ragen bis in die Mitte des Flußarms hinein. Nur in der Mitte gibt es einen Durchlaß – zwei bewegliche Schwimmtüren gewähren Einfahrt in die Hafenbucht.
Innerhalb der Bucht ist das Wasser noch brackiger, noch abgestandener als davor.
Das einzige Bauwerk in dieser Hafenbucht ist eine verwitterte Mole aus schlechtem alten groben Beton. Mit hoher Kiesbeimischung.

Als das Schiff die Sperre erreicht hat, öffnen sich die beiden Türflügel im Wasser wie von Geisterhand. Stumm. Niemand ist zu sehen. Das Schiff gleitet langsam durch die Einfahrt – ein Vorpostenboot nimmt es in Empfang und fährt im voraus Richtung Mole.
Auch an Deck des Vorpostenbootes ist niemand zu sehen. hier will niemand freiwillig an Deck. Der MG-Stand auf der Back ist unbesetzt.

Hier gibt es kein Militär, keine Polizei, nichtmal das ZA treut sich hier hin.
Es ist ein 2m hoher kräftiger Hamster, er schweigend auf der Mole steht. Auf dem Kopf eine Prinz-Heinrich-Mütze, am Leib einen dunklen Kulani – so steht er breitbeinig in zwei hohen Schaftstiefeln die Arme auf dem Rücken verschränkt. In der Rechten hält er dazu noch eine Reitgerte, mit der er langsam hin und her wippt. Der Hafenkapitän.
Als er das Schiff die Hafeneinfahrt passieren sieht, kneift er unweigerlich die Augen etwas zusammen. Die Sonne, das Licht.
„Was mögen sie uns diesmal wieder bringen?“ fragt er sich und blickt stumm auf das Wasser.

Ein weiteres Bauwerk gibt es hier: Einen großen Bunker. Aus gutem Stahlbeton. Halb oberirdisch, halb in den schlammigen Grund gebaut. Die Fundamente reichen bis zum Grundgestein.
Das Endlager für das Böse. Bis in alle Ewigkeit.

Vom Tor des Bunkers, einer großen grünlackierten Doppel-Stahltür mit schwarz-gelben Sicherheitsstreifen, führen Gleise bis auf die Hafenmole.
Langsam öffnen sich die Torflügel, und eine kleine Diesellok zieht leere Loren hinter sich her.
Es ist keine Dampflok. Hier ist kein Platz für niedliche Romantik. Es ist eine alte Klöckner-Humboldt-Deutz Maschine, die ihre Dieselrußpartikel ungefiltert in die schwül-heiße Luft entläßt und die schwirrenden Mücken grillt.

Als der kleine Zug aus dem Bunker die Mole erreicht hat, ist auch das Schiff soweit anzulegen.
Ölflecken schwimmen im Hafenbecken. Rings herum nur Bäume, sumpfig feuchte prä-gewittrige stickige Luft.
Es dauert eine Zeit, bis der Pott längsseits zur Hafenmolegekommen ist. Es ist ein nahezu lautloses Anlegemanöver. Über das Deck des Schiffes huschen nun stumme Matrosen in geduckter Haltung. Machen die Ladebäume klar.
Hier will niemand aufrecht gehen. Das ist hier nicht der Platz dafür.

Andere Gestalten, die dem Bunker gleichsam des Lorenzuges entsprungen sind, huschen ebenfalls nahezu lautlos und geduckt über die Mole.
Trossen werden geworfen, und an Bord des Schiffes werden die Ladeluken an Deck geöffnet.

An den Ladebäumen werden aus dem Laderaum des Schiffes große Holzkisten an Deck gezogen, auf die Mole geschwenkt, und auf die leeren Loren des Zuges geladen.
Aber dies alles geschieht still, nahezu lautlos. Nur hin und wieder ein lauteres Kommando. Aber im Angesicht der Aufgabe sind hier alle so still wie möglich.

Die Holzkisten enthalten das Böse.

All das Böse, was dem Menschen widerfahren kann. Gewollt oder ungewollt. Nicht kleine Neidereien oder Zwistigkeiten. Nein. Böses. Morde, Vergewaltigungen. Menschliche Abgründe. Den Haß, die nackte Gewalt. Illegales. Unmenschliches. Alles was giftig ist. Die tumblr-Pornos, wenn man einmal zu weit scrollt und einen Mord sieht. Das, was uns wirklich gruseln läßt. Wo man sich schüttelt und ekelt. Nicht der Krieg in Syrien. Nein, die Apokalypse nach einem Atomkrieg. Oder nach einem Meteoriteneinschlag. Oder die Welt nach der Zombieapokalypse. Diese Existenzängste. Das unfaßbar sinnlose an Gewalt.
Nicht der Rassismus, mal „Neger“ oder „Schlitzauge“ zu sagen. Nein, der Rassismus die „Neger“ und „Schlitzaugen“ wirklich aus der Welt schaffen zu wollen, weil sie nur Ressourcen verbrauchen. Diese Menschenverachtung. Dieses Böse.

Und wenn wieder mal die Welt voll genug ist mit solchen Sachen, bringt das Schiff eine neue Fuhre in das Endlager.

So wird Kiste für Kiste von Bord gehieft. Man kann solche Dinge verarbeiten. Man kann sie verdrängen oder vergessen. Aber sie bleiben irgendwo, auch, wenn man über sie hinweg ist.
Der Hamster geht die Frachtpapiere durch. Auch das Buch ist verzeichnet. „Das Lösungsbuch“. Für die Probleme der Welt. Erstellt von Großrechnern. Kalten, gefühllosen Maschinen, die nur in 1 und 0 unterscheiden können. Die in ökonomisch wertvoll und ökonomisch wertlos unterscheiden. Auch das Leben. Das Leben von Menschen. Oder ganze Menschengruppen anhand sturer stummer Parameter als Sicherheitsrisiko definiert. Und ihre Löschung empfiehlt.
Rein rational. Keine Gefühle, keine Kultur, keine Barmherzigkeit.
Auch dieses Buch muß weg.

Das Schiff ist leer. Es liegt nun höher im Wasser. Die Trossen werden losgemacht. Die Maschinen laufen wieder an.

Die kleine Diesellok zieht ihre beladenen Loren in den Bunker. Hinter der letzten Lore schließt sich das Bunkertor wieder.
Der Hamster schüttelt sich.
Wieder ist etwas Böses aus der Welt und für immer eingesperrt. Im Endlager.
„So wie ich die Menschen kenne, wird das Schiff noch öfters wieder kommen.“ seufzt der Hamster Hafenkapitän in sich hinein.
Aber jede neue Fuhre, die in dem Bunker verschwindet, ist ein Gewinn. Wieder eine neue gute Tat.

Es donnert. Es blitzt. Windböen pfeifen durch die Weiden und Pappeln. Das Schiff verläßt den Hafen. Regen setzt ein.
Der Hamster atmet teif durch.